Der Metzger holt den Teufel
steuert Wernher von Mühlbach die Gulaschsuppe an und verkündet dabei: »Also, Sophie, wie ausgemacht, nächste Woche kommst du mit zur Drückjagd, und wir, Herr Metzger, sehen uns am Mittwoch!«
»Drückjagd. Ist das die Zwangsverpflichtung all jener, die sich bevorzugt vor so einer Jagd drücken? Oder hab ich gar eine Jägerin zur Halbschwester?«
»Keine Sorge, ich darf mich nur als Treiber beteiligen. Das wird lustig und ist ein Kinderspiel, hat mir gestern zumindest Eugen erklärt: Man spaziert gemütlich durchs Gehölz und kann dabei sogar plaudern, was ja für uns Frauen nicht unwichtig sei, hat er gemeint – sehr charmant übrigens, oder was meinst du? Dabei kommen die Wildschweine, Rehe und Hirsche in Bewegung, werden vom Treiber sozusagen aus den Einständen gedrückt – deshalb der Name. Nur im Gegensatz zur Treibjagd läuft das Wild nicht hektisch davon, sondern schlendertin Seelenruhe auf seinen gewohnten Routen den Jägern direkt in die Arme. Ja, und die Schützen haben dann ausreichend Zeit, die Ankömmlinge zu beurteilen und zu erlegen. Ist das nicht spannend?«
Das Blitzen in ihren Augen ist nicht zu übersehen, auch nicht die Verwunderung im Gesichtsausdruck ihres Anverwandten: »Das wird dann also lustig, aha! Und wer bitte ist Eugen?«
Die Frage ist natürlich eine rein rhetorische. Das Erröten im Gesicht Sophie Widhalms und das Herannahen des Mühlbach-Sohnes allerdings sind echt. Viel zu schnell geht es, dann ist er in Gesprächsweite: »Geben Sie mir eine zweite Chance, Herr Metzger? Ich bin untröstlich wegen des Vorfalls gestern beim Reifenwechseln!«
Na, was soll er da machen, der Willibald, wenn ihm der Sohn seines neuen Brotgebers die Hand reicht. So wird also höf lich genickt, auch wenn ihm eher nach Kopfschütteln zumute ist.
Was Herr Mühlbach junior, als stünde er erneut am Golfplatz, gleich als Einladung zum nächsten Schlag betrachtet. »Außerdem bin ich Ihnen, noch bevor Sie an unser Mobiliar Ihre kunstvolle Hand angelegt haben, zu größtem Dank verpflichtet!«
»Aha?«
»Haben Sie diese wunderbare Göttin hierhergebracht oder nicht?«
Ab diesem Zeitpunkt fühlt sich der Metzger absolut fehl am Platz, auch wenn der Erbe dieses Anwesens perfekt vorgetäuschte Bemühungen zeigt, ein intaktes Dreiergespräch zu führen. Es wird geturtelt nach allen Regeln der Kunst. Was braucht es da einen Dritten – möchte man meinen!
Lange dauert es zum Glück nicht, und der Tisch füllt sich mit weiteren Gästen. Alle werden sie manierlich vorgestellt, es wird auf noble Art und Weise das gegenseitige Desinteresse demonstriert, also der belanglose Austausch von Höf lichkeiten praktiziert, und weil es ziemlich bald erschöpft ist, das Thema Wetter, »So schön!«, landet man über den Umweg Feuerwerk, »War das schön!«, beim gestrigen wunderbaren, tragischen ersten Satz des Streichquartetts Nr. 11 von Ludwig van Beethoven: »Das war ja erst schön!« Zuerst wird geschwelgt, als säße der stinkreiche Vater der Künstlerin in Hörweite, dann folgen Beiträge über die Erhabenheit derartiger Instrumentalmusik, über die bevorstehende Premiere von »La Bohème«, über die neue, phantastische georgische Sopranistin, den heldenhaften spanischen Tenor, über die jede Genmanipulation in den Schatten stellenden möglichen Kinder dieser beiden Ausnahmekünstler, über das Muss eines Platzes in den vordersten Reihen, und schließlich folgt Empörung – die gewiss noch viel größer wäre, wenn bekannt würde, dass der Metzger vom Beethoven-Streichquartett Nr.11 genauso viel Ahnung hat wie vom Kulturgenuss in einer dieser unverschämt überteuerten vorderen Reihen.
Auslöser dieser Empörung ist die Jüngste in der Runde. Eine gewisse Clarissa von Hohenried wagt die Feststellung: »Ich find das Gesinge nicht so toll, sondern hör lieber was Rockiges. Beim Joggen gibt dir das den ultimativen Kick!«
Schonungslos fällt Clarissa von Hohenried schwerster Häme zum Opfer, nicht nur aufgrund ihrer volksnahen Wortwahl. Lautstark wird über die Auswüchse derartiger Primitivmusik sinniert, wie sie von der wahren Kulturablenke, wie sie die Masse zu geistigen Schrumpfköpfen erziehe, wie sie keine weitere instrumentalistische Qualifikation voraussetze, außer einen Gitarrenverstärker aufdrehen zu können, und wie geistig minderbemittelt man sein müsse, so etwas, das samt den dazugehörigen Dilettanten vernichtet gehöre, überhaupt mögen zu können.
Gut, er hört selbst auch lieber
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