Der Metzger holt den Teufel
mehr. Gleißend hell ist das Strahlen, direkt in sein Gesicht. Da hat der Metzger noch das Funkeln in den Augen, ist sein Umfeld längst wieder dunkel.
»Hallo! Ist da jemand?«, gibt er nun vorsichtig von sich.
»Natürlich ist da jemand, oder haben Sie geglaubt, ein Wildschwein hat sich verirrt und gibt Lichtzeichen? Mann, haben Sie mich erschreckt!«
»Was heißt: ich Sie? Und was bitte ist an Schritten auf einem öffentlichen Kiesweg so Angst einflößend, um einem Spaziergänger gleich das Augenlicht zu nehmen?«
Abermals geht die Taschenlampe an und beleuchtetvon unten ein zartes Gesicht, mit üppig geschminkten, etwas verschmierten Lippen, ansehnlichem Muttermal auf der rechten Wange und einer schmalen Nase mit daraufsitzender extravaganter Brille. Dunkelbraune Stirnfransen reichen fast bis zur Oberkante der Fassung.
»Glauben Sie mir, bei dem, was da durch den Wald läuft, darf man sich schon schrecken!«
»Und wer genau ist dieses ›man‹?«
»Sehr erfreut, Antonia Lenz, Pyrotechnikerin. Ich hab gerade drüben in der Lichtung das Feuerwerk abgebaut.«
Was für ein klingender Name und außergewöhnlicher Beruf, denkt sich der Metzger anerkennend. Das ist doch einmal eine erfrischende Abwechslung in der Tristesse jener beruf lichen Geschlechtertrennung, die diesen in Männerhand dahinsiechenden Planeten überzieht wie eine nicht ausrottbare Pandemie.
»Pyrotechnikerin, schau, schau. Apropos schauen: Haben Sie nicht ein bisserl was übersehen? Da geht ja immer noch einiges hoch!«
Antonia Lenz flucht, um dann zu erklären: »Typisch Mann, trauen Sie einem Weibchen also keine saubere Arbeit zu. Ich muss Sie aber enttäuschen, das war nicht von mir, mein Zeug kenn ich. Nein, ein Schuss war das vorhin. Da sind nämlich, so wie bei jedem derartigen Anlass, garantiert wieder ein paar angesoffene Adelssprösslinge unterwegs, zünden ihre eigenen Raketen und knallen wild durchs Gemüse auf alles, was sich bewegt.«
Dann wandert der Strahl der Taschenlampe den Körper des Restaurators abwärts.
»Und Sie? Sie lüften Ihren Pyjama aus?«
»Gezwungenermaßen! Schlafen wär mir lieber. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was da gerade für eineunsinnige vorgezogene Silvesterkracherei stattgefunden hat!«
Antonia Lenz muss lachen und meint: »Na, wir sind zwei Pantoffelhelden! Kommen Sie, ich bring Sie in Ihr Bettchen, bevor uns der nächste besoffene Schütze mit einer Wildsau verwechselt. ›Goldener Bär‹, nehm ich an? Nur eines sag ich Ihnen, die Party da draußen dauert noch länger.«
Ein Stückchen marschieren die beiden schweigsam nebeneinanderher.
»Und, haben Sie auch das Gefiedel gehört? Das war ja recht ordentlich, was meinen Sie?«, murmelt Antonia Lenz.
»Recht ordentlich? Ich finde, das war überwältigend!«
Da teilt nicht jeder seine Meinung.
22
N ACH DIESEM KURZEN , aber intensiven Ausflug gibt es für den Metzger dann doch noch so etwas Ähnliches wie Nachtruhe.
Zumindest in Etappen, denn es muss nach drei gewesen sein, als ihn das Gegröle einiger zurückkehrender Gäste erneut aus dem Schlaf reißt. Gegen sechs fällt abermals ein Schuss, und es bleibt nicht der einzige.
Um sieben Uhr reicht es ihm, und er steht auf.
Dass er dann um acht Uhr erst der Zweite sein wird, der sich auf der Festwiese einem über mehrere Tische reichenden Frühstücksbüfett stellen muss, hätte sich derMetzger nicht gedacht. Obwohl, Albert Mühlbach weiß ganz genau, was er will. Ein paar versprengte Gemüseteile, eine Scheibe Ananas und eine Scheibe Vollkornbrot dekorieren seinen Teller.
Ein freundliches Guten Morgen wird ausgetauscht, dann geht der Restaurator auf Jagd. Manche der angebotenen Speisen würde er ja durchaus dieser Tageszeit zuordnen. Austern mit Champagner, Rehfilet mit Wokgemüse, Weißwürste mit Laugenbrezeln und Gulaschsuppe mit Bier vom Fass haben sich seinem Magen, in diesem Fall sogar leerem Magen, zu so früher Stunde allerdings noch nie aufgedrängt.
Jetzt ist das natürlich eine blöde Sache, wenn der Verdauungstrakt nach deftiger Überladung eines großflächigen Porzellantellers schreit, und die einzige außer dem Servicepersonal noch anwesende Person kaut auf einer Stange Sellerie herum. Da wäre Ablenkung nicht schlecht.
Und die kommt. Denn während der Metzger die erste kulinarische Fährte aufnimmt, kehrt bereits manch anderer von seiner Jagd zurück.
Imposant sticht eine Horde stattlicher Rösser aus dem Föhrenwald und trommelt ihren Rhythmus auf die
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