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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Fähigkeit, sich gehen zu lassen, sich Freude einzugestehen. Und verdammt, diesmal muss es anders sein, denn er ist auf dem richtigen Weg.
    Es muss die Tage der Beherrschtheit, der Tarnung geben, die zur Überbrückung dienen, zum Studium und zur Organisation,aber es muss auch diesen einen Tag geben dürfen, an dem er seiner Lust für einen kurzen Moment freien Lauf lässt und dieses Gefühl der Erfüllung in vollen Zügen auskostet. Es ist wie ein Rauschen, als stünde er am Ufer eines reißenden Flusses. Der Geist blendet sich völlig aus, und alles beschränkt sich auf die Wahrnehmung der blanken Existenz. Das Pochen des eigenen und fremden Herzschlags, der Duft der Angst, der heftig werdende Atem, der verzweifelte Widerstand, das kurze Gurgeln, das Zucken, das warme Strömen über seine Hand, das Schwinden der Kräfte, das Erschlaffen des Körpers, die Stille.
    Nur das Rauschen bleibt.
    Noch nie zuvor war er erfüllt von einem derartigen Gefühl der Stärke, Überlegenheit und Immunität. Die Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen.
    Und jetzt, jetzt darf es endlich wieder passieren.

21
    W ILLIBALD A DRIAN M ETZGER beginnt zu lachen. Heraus will sie, seine ganze Verzweif lung. Es ist kein Frohlocken aus Überheblichkeit, sondern ein Ausdruck tiefster Erleichterung. Was auch immer für ein Einflüsterer seiner Danjela da auf der Schulter sitzt, er wird ihren Irrtum morgen aus der Welt schaffen. Ganz recht ist ihm das jetzt zwar nicht, aber ein wenig gebauchpinselt fühlt er sich durch diesen Eifersuchtsausbruch schon, der Willibald. Warum ich, warum hab ich so ein Glück!, durchdringt ihn ein innerer Freudenstrahl. Auf mich, gradauf mich ist ein derartiges Prachtweib eifersüchtig – auf mich!
    Mit so einer Entflammtheit ist natürlich schlecht schlafen, weshalb der Metzger nun barfuß in seine Schweinsledernen schlüpft, das Sakko über seinen warmen Pyjama streift und abermals das Dach des »Goldenen Bären« verlässt, um sich unter dem Dach des Großen Bären ein wenig die Füße zu vertreten. Klar ist die Nacht, rein die Luft, neu der Mond, schlecht die Sicht. Außer dem Licht des Hoteleingangsbereichs flackert nur eine dünne Sichel am Firmament, was für das angrenzende Waldstück eine ziemlich schwache Beleuchtung hergibt.
    Der Metzger liebt es, durch die Nacht zu spazieren, obwohl das natürlich schon etwas anderes ist, wenn er im spärlichen Schein der Straßenlaternen von seiner Werkstatt nach Hause schlendert. Hier aber ist es stockfinster, nur die am Weg fehlende Vegetation lässt nach oben hin eine dünne Schneise zum Himmel offen. Rhythmisch knirschen die Steine unter den Fußsohlen, immer wieder raschelt es leise im Gebüsch, schaurig und wohl zugleich fühlt er sich, der Metzger, wie ein kleiner Abenteurer eben. Von der Festwiese ertönt leise eine Art Unterhaltungsmusik, vereinzelt geht noch ein Feuerwerkskörper hoch, und aus dem Wald ertönt ein Knall, ein versprengter Kracher, was auch immer. Allein unterwegs ist er jedenfalls nicht. Auch das plötzlich einsetzende schrille Quietschen hält er eher für das akustische Vorspiel des sich in der Ferne brunftig jagenden Jungadels als für einen Ausdruck blanken Entsetzens. Etwas mulmig ist ihm dabei dennoch zumute.
    Es geht aber auch anders, denn diesem Krach folgt ein Hochgenuss, der durchaus ebenso ein Quietschen seinkönnte. Hier allerdings ist ein Meister am Werk: Irgendwo im Gehölz spielt ein einzelnes Streichinstrument Bach in Vollendung! Das Prélude der Cellosuite Nr. 1. Die verdächtige Musikerin also. Für wen auch immer dieses kleine Privatkonzert gedacht ist, er oder sie ist ein Glückspilz.
    Still bleibt der Restaurator stehen und lauscht den Klängen. »Einfach göttlich!«, flüstert er vor sich hin. Was für ein erhabener Moment, in der Finsternis des Waldes stehen und derartig beispiellose Kunst hören zu dürfen.
    Kunst, die mit einem Schlag abbricht und in eine ergreifende Stille übergeht. Langsam spaziert der Metzger weiter, dann verharrt er abermals wie gebannt. Das Knacken der Äste abseits des Weges ist ihm nun doch eine Spur zu unheimlich. Da braucht es nämlich schon ein paar Kilo mehr, um so ein Hölzchen zu brechen, und dass sich in der Gegend genügend Wildschweine herumtreiben, verrät bereits die Speiskarte des »Goldenen Bären«. Willibald Adrian Metzger kehrt um, man muss es ja nicht übertreiben, vor sich sieht er in der Ferne die Eingangsbeleuchtung des Hotels und neben sich, völlig unvermutet, nichts

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