Der Metzger holt den Teufel
Festwiese. Fünfzehn Reiter zählt der Metzger, und wenn er es nicht besser wüsste, er hätte bei diesem Anblick ein wenig Schwierigkeiten mit der Zeit, genauer gesagt dem Jahrhundert.
Beinah synchron öffnen sich die großen doppelflügeligen Glastüren des Palais, und die geladene Gesellschaft stürmt heraus, um ihre Helden in Empfang zu nehmen. Und Heldinnen. Denn keineswegs besteht die herangaloppierende Truppe nur aus Männern. Auch drei Damen sind darunter: einmal wallendes Haar, einmal Naturlocken mitSträhnchen und einmal ein Pagenkopf. Welch ein Anblick. Ein wenig blinzeln muss er, der Metzger, zum Augenarzt muss er längst, das weiß er, und seinen Arm heben sollte er auch, denn der Gruß gilt ihm. Erst im Vorbeitraben erkennt er, wer ihm da gerade so energisch zugewunken hat und einfach überall gute Figur macht: Sophie Widhalm.
Wie kommt sie nur auf diesen Gaul, und wo bitte hat sie die Ausrüstung her?, rätselt er vor sich hin, und eines weiß er mit Sicherheit: Seine Halbschwester muss sich zwecks Eröffnens einer Minimalchance auf ein Hineingeheiratetwerden in derartige Kreise gar nicht erst als ausreichend fruchtbar oder finanz- und herkunftstechnisch fruchtbringend erweisen, viel eher ist sie ein Duellgrund.
Wenig später kann sich der Metzger, umgeben von hungrigen, verschwitzten, etwas nach Stall duftenden Reitern endlich ausreichend Fleischliches auf seinen Teller laden. Ein Guten-Morgen-Kuss, als wären sie seit ihrer Kindheit ein Herz und eine Seele, wird ihm verpasst, die Geschichte eines wunderbaren Abends wird ihm erzählt, der Auftritt dieses einzigartigen Streichquartetts wird ihm geschildert, dessen Cellistin im wohl berühmtesten Orchester des Landes spielt und Tochter eines einflussreichen Geschäftsmannes, Gottlieb Wertheim-Müllner, ist: »Dort sitzt er, schau, neben dem Wirtschaftsbonzen Leugendorf und dem Mann der Gesundheitsministerin.«
Es folgen Erörterungen über den weiteren Abendverlauf, das Feuerwerk und die Einladung zum morgendlichen Ausritt.
»Ausritt? Da mussten sich aber einige erst den Weg freischießen!«
Sophie Widhalm erklärt schmunzelnd: »Ach, du meinst die Knallerei. Das waren nicht wir, das war derHausherr höchstpersönlich mit ein paar ausgewählten Gästen. Da wurde nicht hoch zu Ross, sondern von einem Hochstand aus der Tag begrüßt.«
Und dieses »Wir« ist dem Metzger nun nicht entgangen. Sie gehört also schon dazu!, wird ihm klar, dann kommt, was kommen muss: »Bleiben wir aber schon bis zur Abendveranstaltung?«
»Ich muss dringend heim, Sophie, wirklich dringend!«
»Aber …«
»Wegen und am besten auch mit dir.«
Sophie Widhalm hört aufmerksam zu, gelegentlich legt sich ein Lächeln auf ihre Lippen, und als der Metzger mit seiner Djurkovic-Erzählung schließlich zum Ende kommt, weiß seine Halbschwester: »Unglaublich, wie du sie lieben musst. Dieses Strahlen in deinen Augen, wenn du von ihr erzählst. Schön!« Langsam senkt sie den Kopf: »Ich vergönne es dir wirklich, bin aber zugegebenermaßen schon auch ein wenig neidisch.«
Als könnte er Gedanken lesen, streicht ihr von hinten Wernher von Mühlbach über die Schulter: »Meine Liebe, eine prächtige Figur hast du gerade auf Macbeth abgegeben!«
Weder entgeht dem Willibald jetzt das »Du« noch der ständige Blick seiner Halbschwester in Richtung des beim Büfett stehenden Mühlbach-Erben mit seinem halblangen dunklen Haar, der sonnengegerbten Haut und dem Dreitagebart. Wie bei der gestrigen Begegnung im Palais funkeln ihre Augen, nur sind es diesmal die schillernden Sternchen und nicht die gezückten, geschärften Klingen. Der Metzger ist fassungslos. Benehmen und Stil sind gegen den Magnetismus der größten Ungusteln und Egoisten dieses Erdballs chancenlos.
Weiter nicht zu übersehen sind die sanft auf Sophie Widhalms Schulter ruhende Hand des Freiherrn und sein durchaus vertrauter Blick, der nun auch in Richtung des Restaurators schwenkt: »Ist doch schön, wenn sich die Jugend austobt! Und, wie war die Nacht?«
»Wie die Nacht war? Nicht so kurz wie Ihre, denk ich.«
»Fünf Uhr ist bei mir Tagewache, länger kann ich nicht schlafen, und glauben Sie mir, der Frieden einer Morgendämmerung und das stille Warten auf den Bock machen süchtig!«
Wie der Frieden einer Morgendämmerung mit dem Erlegen eines Bockes zusammenhängen soll, versteht er jetzt nicht wirklich, der Metzger, und es ist nicht das Einzige. Denn nach einer kurzen, aber umso freundlicheren Plauderei
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