Der Metzger holt den Teufel
Augen gemeinsam hat. Aber was soll er auch anderes beschreiben können? Erstens war es Nacht, zweitens ist er ein Mann, da ist das Wissen um die genannten Merkmale ja bereits eine Höchstleistung, und drittens, woher soll man wissen, was heutzutage an einer Frau alles echt ist?
»Und, hab ich sie gut getroffen?«
»Getroffen hab ich sie, Herr Homolka, und ganz ehrlich gesagt: Das hier würde ich jetzt nicht unbedingt als Wiedersehen bezeichnen!«
Herbert Homolka zieht seine Augenbrauen hoch, schmunzelt vergnügt, greift erneut zu seinen Arbeitsgeräten, und eine durchaus unterhaltsame Stunde später liegt ein kleiner Stapel Ausdrucke am Schreibtisch. Erst der Blick auf die Wanduhr bringt den Restaurator zurück in die zeitbestimmte Realität: »Was, es ist schon siebzehn Uhr?«
»Vergessen Sie die Uhrzeit, wenn Sie am Computer sitzen!«
»Beim Computer!«, korrigiert Willibald Adrian Metzger lächelnd.
»Sagen wir im Computer, das stimmt am ehesten, so wie uns das Kastel verschluckt. Also, welche Lady nehmen wir?« Herbert Homolka breitet die Bilder am Boden aus.
»Lady? Sind eher ein paar Püppchen geworden!«, stöhnt der Metzger.
»Herr Metzger, Sie wissen aber schon, dass es nicht darum geht, die Schönste herauszufinden!«
»Es tut mir leid, aber wenn die Gesichter von unten mit einer Taschenlampe angeleuchtet wären, tät ich mich sicher leichter! Nehmen wir die da!«
»Na, die hat wenigstens Stil!«, scherzt Herbert Homolka und bringt den eifrigen Helfer zur Tür: »Nur eines darf man natürlich nicht vergessen. Es gibt genug Schmarotzer, die es immer wieder als ungeladene Gäste in eine Gesellschaft schaffen, sich dort den Magen vollschlagen und keinem auffallen. Vielleicht war Ihre Begegnung ja nur ein kleiner Blutegel am Büfett des Hochadels.«
Mulmig ist dem Metzger auf dem Heimweg. Angenommen, die Frau hinter dem Pseudonym Antonia Lenz hat tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun – und einigesspricht dafür: der Zeitpunkt ihres Erscheinens, der Schuss, der Schrei, das Cellospiel davor und vor allem die Tatsache, dass Wernher von Mühlbach gar keine Pyrotechnikerin engagiert hatte –, wie kaltblütig muss sie sein, sozusagen mit frischem Blut an den Händen einen dermaßen überzeugenden und mit so viel Natürlichkeit gespickten Auftritt hinzulegen? Und genau dieses Blut an ihren Händen mag durchaus vorhanden gewesen sein, gesehen hat der Metzger ja nur kurz ein im Schatten liegendes Gesicht.
32
S VEN L IPPERT KANN NICHT mehr schlafen. Seit am Sonntag, einen Tag nach dem letzten Kontakt zu Philipp, dieser Typ namens Metzger beim Denkmal aufgetaucht ist, hat ihn alles nur noch mehr verunsichert. Wenn er Philipp, der ihm wie ein Bruder ist, doch bloß begleitet hätte, es wäre ihm sicher möglich gewesen, ihn aufzuhalten. Diese ständige Klauerei hat Auswüchse angenommen, da musste ja einmal etwas passieren.
Es hatte bei diesem späten Anruf am Samstag zuerst noch alles gut geklungen: »Fette Beute, sag ich dir, den Typen hättest du sehen sollen, dagegen bist du sportlich. Siehst du, es geht auch ohne dich!« Dann legte er auf mit den Worten: »Ich meld mich später! Scheiße, da passiert was!«
Nur: Philipp hat sich nicht mehr gemeldet. Und jetzt ist er verschwunden.
Aufgetaucht ist dafür wer anders. Nicht nur dieser Metzger, auch diese seltsame Frau. Heute vor der Schule, er könnte schwören, er hat sie wieder gesehen.
Nachdenklich holt er mit einem kräftigen Abstoß Schwung und nimmt Fahrt auf. Stets folgt er derselben Strecke, beinah blind könnte er sie absolvieren, kennt jede Gehsteigkante, jedes Schlagloch, jede Kurve. Zügig beschleunigt er sein Tempo. Mit leichter Innenlage geht es um die scharfe Rechtskurve, schließlich taucht sie vor ihm auf, seine Lieblingsstelle, einzig hier müsste er die Augen öffnen: das starke Gefälle hinunter über speckige alte Pflastersteine und mit einem Höllenlärm vorbei am Imbissstand. Herr Johann, der Besitzer, verflucht sie zwar regelmäßig: »Wenn ich euch dawisch, werd’s ihr faschiert, ihr Gfraster!« Aber genau dieses Geschrei gibt der an sich schon perfekten Strecke den wahren Unterhaltungswert. Außerdem, erwischt hat sie der Johann bis jetzt noch nie.
Wie gesagt: bis jetzt.
Herr Johann: »Heinzi, jetzt bitte hör auf, du weißt, ich mach gern mein Gschäft, aber an einem Mittwochabend, einem normalen Wochentag, musst du nicht besoffen sein. Sag, hast du morgen nicht zu arbeiten, was sollen sich deine Schüler denken. Ich
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