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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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schien nur darauf bedacht, ihre Traurigkeit abzufangen, den Schmerz zu stillen, der mit dem Mord an Pepe durch sie gefahren war wie ein Schwert.
    »Lass et jut sein, Dolly, mach dir keenen Kopp, hier herrschen so wie überall eijene Jesetze, von denen willste am besten jar nüscht wissen! Und det is jut so, weil sonst verlierste det Auje für det Schöne, verstehste?«, hat er ihr erklärt, nachdem sie, in seinen Armen liegend, von Pepes Sturz aus dem Erste-Hilfe-Spind, dem Auftauchen der Polizei und dem schließlich völlig widersprüchlichen Fundort in den Pinienwäldern erzählt hatte. »Die janze Welt is kriminell, an jeder Ecke, sojar da, wo wir det Jesetz vermuten.«
    Dann war sie kurz aufgesprungen, aufs WC gelaufen, hatte sich am Rückweg die Kamera geschnappt, ihn fotografiert, wie er da in ihrem Bett lag mit all seiner Liebe im Gesicht, hatte sich zu ihm gelegt, ihren Kopf an seinen gelegt, die Kamera weggehalten und abgedrückt. Sanft wie sein Kuss auf ihre Stirn waren seine Worte: »Wenn et eenen Grund jibt, warum man noch auf det Jute hoffen kann, dann, weil et so Engel jibt, wie du eener bist. Die Aujen sind der Spiejel der Seele, und du hast ’n jutet Herz, Dolly, det seh ick. Durch dir bekommt die Welt ’n besseres Jesicht!«
    »Gesicht«, hat sie sich daraufhin gedacht. »Werd ich außer als Fotografie dein Gesicht je wiedersehen, wenn du hier fort bist, Rudi?« Nur ihr Mut, diese Frage zu stellen, war noch nicht groß genug.
    Heute Morgen aber, am Tag seiner Abreise, gab es kein Zögern mehr. Ein Zögern gab es nur bei ihm. Er schwieg, lange, um dann diesen einen Satz zu sagen, der in ihr Wallungen ausgelöst, ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, das Gefühl vermittelt hat, als schwebe sie in einem luftleeren Raum, einem Raum, der in Wahrheit ihrem heimatlosen Leben entspricht.
    »Wenn det Universum bestimmt hat, det ick der eene bin für dir und du die eene bist für mir, dann …«, dann hat er ihre Hände genommen, sie mit einem Blick fixiert, der wie ein Versprechen schien, und hinzugefügt: »… dann jibt et ooch ein uns, Dolly.«
    Sie hat geschwiegen, aus Angst, mit ihrer Wissbegierde jetzt schon die Hoffnung zu zerstören, hat das Schöne dieser Aussage in sich aufgesogen, obwohl in der Tiefe seiner Worte ein Unterton lag, als müsste er auf Kreuzzug ins Heilige Land.
    Lange waren sie am frühen Morgen noch beisammengelegen, dann musste sie aufbrechen. Ein Tagesausflug mit Gästen in die untergehende Stadt. Er umarmte sie, küsste sie noch einmal auf den Mund, dann auf die Stirn, dann weinten sie beide. Der Abschiedsschmerz zweier Liebender ist grausam, er lässt die Zeit danach mürbe werden, raubt ihr den Fluss, verwandelt sie in ein Siechtum.

    Sie muss sich zwingen, den wartenden Gästen mit der von ihr verlangten Freude entgegenzutreten, obwohl ihr ganz anders zumute ist, obwohl sie weiß, was der aufkommende Sturm zu bedeuten hat. Sie muss ihre bleierne Müdigkeit überwinden, sich in nichtssagende Gespräche stürzen, Interesse zeigen, obwohl nur noch eine Frage für sie von Interesse ist:
    »Wann gibt es dieses uns, wann?«
    Sie muss ihn wiedersehen.

Santa Maria und Jupiter
    »Heute ist der letzte Tag!«, lautet der erhellende Gedanke, mit dem Willibald Adrian Metzger an diesem Morgen erwacht. Da ist das Schädelweh natürlich auch ohne Aspir-, Thomapyr-, Ibumetin oder welch klingenden Namen sie sonst noch alle haben, mit sofortiger Wirkung wie weggeblasen. Und das, obwohl es draußen nach wie vor bläst, und zwar heftig.
    Vorfreude ist eben die schönste Freude, denn morgen schon hat er sie wieder, seine geliebte Werkstatt.
    Der erste Blick von der Frühstücksterrasse hinaus aufs Meer zeigt für diese Region durchaus beachtlich hohe Wellen. Unter solchen Bedingungen, so dachte der Metzger anfangs, gehen maximal Väter mit dem unbremsbaren Nachwuchs zwecks Stillens des kindlichen Abenteuerhungers bis auf Kniehöhe ins Wasser oder schicken Frauen den testosterongesteuerten Gemahl zwecks möglichst frühzeitiger Witwenschaft in Richtung erste Boje. Die Chancen dafür stehen gut, denn erstens flattert die aufgezogene rote, auf Badeverbot hinweisende Flagge bedrohlich im Sturm, und zweitens flattert es auch draußen am Meer, in Hochgeschwindigkeit.
    In extremer Rücklage saust ein Surfer durch die Wogen, wendet sturzfrei, springt über die Wellen, halst, springt wieder und halst den Urlaubsgästen etwas auf, nämlich rapide ansteigenden Blutdruck – es ist da draußen, so

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