Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
erkennen, nur ein nicht enden wollender Schwall. Ein Schwall, der alles unter Wasser setzt.
Hektisch zerstreuen sich die Besucher in alle Himmelsrichtungen, suchen Schutz und suchen sich schließlich, weil vor lauter körperlichem Zerstreuen die geistige Zerstreuung dann doch etwas zu groß wird, gegenseitig.
»Karli!«, »Madonna, Giacomo!«, »Ciara, hier bin ich!«, »Maria!«, »Fredi, wo bist du?«, »Mama!«, dröhnt es durch den Ort, während es mit höllischem Lärm auf die Dächer, die Straße, die Zeltplanen trommelt.
Keinen Zentimeter hingegen bewegen sich Danjela Djurkovic und Willibald Adrian Metzger in diesem Getümmel zur Seite. Wozu auch, bereits innerhalb der ersten drei Sekunden sind sie dermaßen durchnässt, als hätte man sie eingetunkt, zugegeben in eine durchaus wohlig warme Badewanne.
»Ist Regen wie, wie, wie Weltuntergang, wie letzte Tag auf Erde!«
»Zumindest letzter Tag stimmt!«, entgegnet der Metzger, betrachtet sein Bäuchlein, betrachtet seine Liebste, betrachtet abermals sein Bäuchlein, zieht spitzbübisch die Augenbrauen hoch und erklärt: »Also bei mir sieht so eine pitschnasse, am Körper klebende Oberbekleidung ganz schön peinlich aus, aber bei dir, ich muss zugeben: nur schön!«
Der Dank für dieses Kompliment ist ein zwar zärtlicher, in puncto Botschaft aber eindeutiger Schlag auf den Hinterkopf:
»Um Gottes willen, sagst du mir erst jetzt, gib mir Jackett!«
»Ungern!«
Eine zweite, schon deutlich weniger liebevolle Tätlichkeit führt zur prompten Übergabe des Gewünschten, dann öffnet nicht nur der Himmel, sondern auch der Erdboden seine Schleusen. Zu viel von allem ist eben schwer verkraftbar, ob fest oder flüssig, Spanferkel oder Schnaps, Lust oder Leid, Glück oder Geld, ob es den Menschen betrifft oder was den Menschen betrifft gleich den ganzen Planeten, egal. Und hier kommt nun definitiv zu viel zu schnell herunter, als dass es rechtzeitig versickern könnte. Wie ein Sturzbach verlässt das Wasser seine Rinnsale, Abläufe, Kanäle, steigt den Autos bis zur Bodenplatte, den Menschen je nach Alter und Größe vom Knöchel bis zum Knie, spült ihn weg, den Dreck, auch den der Straße.
Hand in Hand stehen Willibald Adrian Metzger und Danjela Djurkovic von oben wie von unten gebadet im warmen Regen und lächeln. Auch, weil sich der Platz um sie trotz oder gerade der Umstände wegen wieder füllt. Ein junger Mann stürmt aus einem kleinen Café, zieht sein Mädchen an der Hand, deutet dem in der Tür des Lokals stehenden Kellner, der nickt und verschwindet. Kurz darauf dröhnt Musik ins Freie, laut und erlösend: »Volare, oh, oh! Cantare, oh, oh, oh, oh!«
Fliegen und singen.
Und dann fliegen die beiden jungen Herzen übers Wasser, tanzen, drehen sich, wirbeln mit ihrer Glückseligkeit um sich, als hätten sie zu viel davon. Einer offenbar ansteckenden Glückseligkeit.
Blitzartig gesellen sich weitere Menschen dazu, alte und junge, springen und tanzen, Lebensfreude braucht kein Schönwetter. Ja, und auch der Metzger braucht keine Sondereinladung. Wortlos wendet er sich seiner Danjela zu, nimmt ihr die immer noch an die Brust gedrückte Tasche ab, umfasst ihre Hand, legt seine rechte auf ihren Rücken, trotzt dem deutlich zu hörenden Viervierteltakt und legt einen Walzer aufs Parkett, sprich die zum Planschbecken gewordene Straße, den seine Danjela noch nicht gesehen hat – was insofern nicht verwundert, da dies in ihrer bald sechsjährigen Beziehung die erste derartige Aufforderung darstellt.
Und während sich die Schritte des Restaurators gewiss ein wenig eckig anfühlen, während das von ihm rechter Hand gehaltene Louis-Vuitton-Imitat sanft gegen den Allerwertesten seiner Holden pendelt, während Danjela ihn glückserfüllt fester an sich drückt, langsam, aber sicher die Führung übernimmt, dabei so wie die meisten anderen auch den Text des Liedes mitsingt, ist es mit einem Schlag nur eine einzige Textzeile, eine einzige Frage, die mit völliger Klarheit vorerst still und heimlich im Hirn des Restaurators Willibald Adrian Metzger ihre Runden dreht, um eines Tages ausgesprochen zu werden, bis dass der Tod als Scheidungsrichter seines Amtes walte.
Oft ist es nur der Bruchteil einer Sekunde, der verdeutlicht, wie es weiterzugehen hat.
Hasen und Bärchen
Triefend und komplett auswindbar, vergönnen sich die beiden vor Ort noch eine opulente, durch einen Grappa und Espresso finalisierte Einkehr und verstehen beim neuerlichen Betreten des
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