Der Meuchelmord
Europäerin aus den romanischen Ländern.
Er hatte die Hand ausgestreckt, und sie war zitternd zu ihm gekommen. Zum erstenmal in seinem Leben war Keller behutsam vorgegangen, denn sie hatte ihm wirklich die Wahrheit gesagt: Er war tatsächlich der erste Mann. Als er dann nachher einschlafen wollte, nahm sie seine Hand und küßte sie.
»Ich liebe dich«, sagte sie, »und jetzt gehöre ich für immer dir.«
Als er am nächsten Morgen aufwachte, fiel sein erster Blick auf ihr Gesicht, das ihn voll Bewunderung betrachtete.
Nun legte er seinen Arm um sie und gab ihr einen Kuß in die Halsbeuge.
»Wenn du noch mehr von dem Zeug ißt, wirst du bestimmt krank.«
»Aber sie schmecken doch wunderbar«, protestierte sie. »Du solltest eins versuchen.«
»Das ist nichts für mich, sie gehören dir, meine kleine gierige Souha. Kein Wunder, daß du fett wirst.«
Sie legte das Bonbon zurück und sah ihn an. »Findest du mich zu dick? Gefalle ich dir nicht mehr?«
»Du gefällst mir sogar sehr«, sagte Keller. Er neckte sie gern, wagte es aber nicht, die liebevollen Sticheleien zu übertreiben. Sie glaubte jedes Wort, das er sagte, und fing leicht zu weinen an. »Los, iß schon und leg dich dann neben mich, ich muß mit dir reden. Möchtest du gern fort von hier? Nein, nein, nicht ohne mich! Wir würden zusammen irgendwohin fahren, und wir würden Geld haben.« Er drehte den Kopf zur Seite und sah sie an. »Du hast doch noch nie etwas besessen, wie? Du weißt gar nicht, was Geld bedeutet.«
»Wir hätten mehr zu essen«, sagte sie. »Ich könnte in den Basar gehen, feinen Stoff kaufen und einen Mantel für dich machen lassen. Ich weiß schon, was man mit Geld anfangen kann. Man kann damit viele Dinge kaufen, die wir jetzt nicht haben.«
»Ein neues Kleid für dich – vielleicht sogar zwei neue Kleider.« Er beobachtete den Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte: Überraschung, Freude, ungläubiges Staunen. Zwei neue Kleider? Das gab es doch gar nicht. Er hatte ihr eins geschenkt, und das hielt sie so hoch in Ehren, daß sie es nur anzog, wenn er es ausdrücklich befahl. Nur auf diese Art und Weise konnte er ihr erklären, daß sich für sie manches ändern würde. Aber Fuad hatte schon recht: Es konnte der Beginn eines neuen Lebens sein, eine Wiedergeburt mit einem Bankauszug anstelle einer Geburtsurkunde. Aber mit Geld ließ sich auch eine solche Urkunde kaufen, mit irgendeinem beliebigen Namen darauf. Fuad redete immer wieder von dem großen Geld. Und heute hatte das ganz vage Gerede plötzlich Gestalt angenommen. Er mußte sich einer Probe seiner Schießkunst unterziehen.
Keller nahm eine Zigarette aus der neuen Packung und ließ sich von Souha Feuer geben. Wenn diese Leute einen guten Schützen brauchten, dann suchten sie also einen Mörder – wer immer sie auch waren. Sie suchten einen Mann, der aus größerer Entfernung genau zu treffen wußte. Aber wen? Er zog an der Zigarette, streichelte den dicken Zopf des Mädchens, wickelte ihn um seinen Zeigefinger.
Einen der Scheichs vielleicht, König Hussein von Jordanien. Hoffentlich war's nicht der König – es würde nicht leicht sein, den König niederzuschießen und dann zu entkommen. Noch schwerer war es, nahe genug an ihn heranzugelangen. Das hatte schon so mancher Profi vergeblich versucht. Falls diese Schweinehunde das von ihm verlangten, würde es eine schöne Stange Geld kosten. Vor allen Dingen einen Vorschuß. Vor allen anderen Dingen mußte Souha versorgt sein, falls er nicht mehr zurückkam. Sie zupfte an ihrem Zopf und drehte das Gesicht zu ihm herum.
»Nun?« fragte er. »Woran denkst du? An die neuen Kleider?«
»Nein«, antwortete sie. »Ich habe gerade über Geld nachgedacht. Wer sollte uns denn Geld geben, Bruno.« Er hatte ihr sogar seinen Vornamen verraten. Seit dem Waisenhaus hatte ihn noch niemand wieder beim Vornamen gerufen.
»Jemand, dem ich so viel Geld wert bin. Oder glaubst du nicht, daß ich für irgend jemanden etwas wert bin?«
»Du bist mehr wert als das ganze Geld auf der Bank des Libanon«, sagte sie leidenschaftlich. »Aber spiel nicht mit mir. Sag mir, was du tun mußt, um das Geld zu bekommen. Kommt es von Fuad Hamedin? Ich traue ihm nicht.«
»Ich auch nicht. Nein, es kommt nicht von ihm, aber vielleicht von einem seiner Freunde. Ich weiß es noch nicht. Morgen erfahre ich es.«
Nach einer Weile fragte sie: »Geht es um viel Geld? Hast du deshalb zu essen und zu trinken mitgebracht – und die Bonbons für mich? Ist
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