Der Meuchelmord
es wirklich so viel Geld?«
»Es könnte sehr, sehr viel sein«, antwortete Keller langsam. »Je mehr ich darüber nachdenke, meine Kleine, um so mehr glaube ich selbst an das große Geld. Eine Summe, von der man sonst nur träumt. So viel Geld, daß wir aus dem Libanon weggehen und irgendwo anders leben könnten, ohne uns jemals wieder Sorgen zu machen.«
»Dann möchte ich nicht, daß du es tust.« Sie zog sich von ihm zurück und setzte sich auf. Er sah ihr in die großen Augen, die vor innerer Erregung brannten.
»So viel Geld bedeutet Gefahr. Gefahr für dich, das weiß ich. Sag ihnen, daß wir nichts brauchen. Wenn du willst, kann ich Geld besorgen. Aber tu es nicht für Fuad. Bring dich nicht in Gefahr, Bruno. Ich kann Geld für uns beide verdienen.«
Er drückte die glühende Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger aus. Seine Hornhaut war so dick, daß er die Glut nicht spürte. »Ich hab' dich noch nie geschlagen«, sagte Keller, »aber ich werde es tun, wenn du noch einmal so etwas sagst.«
»Ich werde es auch nie wieder sagen.« Sie schlug beide Hände vors Gesicht und begann leise zu weinen. »Es ist ja nur, weil ich dich so liebe.«
Sie war die erste Frau in seinem Leben, die sich nicht schon vor ihm jahrelang für jeden hingelegt hatte. Die schäbige kleine Prostituierte von der Bushaltestelle fiel ihm wieder ein, das hinterhältige, ölige Lächeln Fuads, als er das Mädchen erwähnt hatte. Auch seine eigene Mutter war so etwas wie eine Hure gewesen. »Ich weiß, warum du das gesagt hast. Du bist doch meine Frau. Kein anderer Mann soll dich jemals anrühren. Und wenn wir erst Geld haben, wird sich unser ganzes Leben ändern. Du wirst eine angesehene Frau sein und ein eigenes Haus haben.« Er sah sie an und wischte ihr mit dem Handrücken die Tränen weg. Vielleicht würde er sie sogar heiraten. Aber das sagte er ihr nicht.
»Sei jetzt ein braves Mädchen und weine nicht mehr. Komm her zu mir. Ich zeig' dir, daß ich dir nicht mehr böse bin.«
Ein Taxi holte ihn vor dem St. George Hotel ab. Fuad saß im Fond. Er bedeutete Keller mit einer Geste, daß er schweigen sollte. Nach einer etwa einstündigen Fahrt hielten sie vor einem Restaurant. Fuad zahlte und stieg aus. Er ging hinüber zu einem anderen Wagen, setzte sich ans Steuer, ließ Keller hinten einsteigen und fuhr weiter zur Küstenstraße. Nach ein paar Minuten fiel Keller auf, daß ihnen ein anderer Wagen folgte.
»Wo fahren wir hin?«
»Nach Jebartaa hinaus«, antwortete Fuad. Er sah immer wieder in den Rückspiegel. Der schwarze Mercedes 200 hinter ihnen verfolgte sie unentwegt. Nach Jebartaa fuhr man von Beirut aus zwei Stunden. Keller sah auf die Uhr. Etwa so lange waren sie schon unterwegs.
Sie fuhren durch den Ort Jebartaa und bogen etwa eine Meile dahinter von der Straße ab. Der Wagen rumpelte über einen Feldweg voller Buckel und Schlaglöcher. Weit und breit war kein Haus zu sehen. Nur karge, verbrannte Wiesen, wohin Keller auch blickte.
»Unter dem Sitz neben Ihnen ist ein Kasten«, sagte Fuad und hielt an. Er drehte sich halb zu Keller herum. Mit dem unsteten Blick seiner kleinen schwarzen Augen, die immer wieder zu dem Mercedes blinzelten, erinnerte er Keller an eine Ratte in menschlicher Gestalt. Der schwarze Mercedes hatte in einiger Entfernung auch angehalten. Der Fahrer war ein Libanese, das sah man sofort. Es war kein Taxifahrer, sondern eher ein uniformierter Chauffeur ohne Mütze. Jemand saß auf dem Rücksitz, aber durch die Trennwand aus Milchglas erkannte Keller nur Umrisse. Der Insasse des anderen Wagens konnte hinaussehen, ohne selbst gesehen zu werden.
Keller fand den Kasten.
»Steigen Sie aus!« befahl Fuad.
Keller blieb sitzen. »Ich steige nur zusammen mit Ihnen aus.« Die Haare in seinem Nacken richteten sich auf. Das alles war vorzüglich organisiert und gar nicht typisch für die Gebräuche im Orient. Der hinter ihnen parkende Wagen gefiel ihm nicht, auch nicht der unsichtbare Mann hinter der Trennscheibe.
»Sie müssen aussteigen«, rief Fuad. »Nehmen Sie den Kasten mit.« Er war so nervös geworden, daß seine Stimme schrill klang. »Auf mich brauchen Sie keinen Eindruck zu machen, Keller. Wenn Sie den Job haben wollen, müssen Sie schon andere Leute zufriedenstellen!« Er deutete mit dem Kopf nach hinten zu dem Mercedes und stieg aus. Keller folgte ihm. Er hatte es nicht eilig. Er wandte dem unsichtbaren Beobachter den Rücken zu, holte den kleinen Kasten aus dem Wagen und zündete sich eine
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