Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
Vom Netzwerk:
niemals herausfinden würde.
    Keller wohnte in einem Zimmer, dicht an der Zone Franche, dem Freihafen, über den alle möglichen Waren, von Teppichen bis Kokosnüssen, in den Libanon kamen. Sein Zimmer lag drei Treppen hoch. Aus den Eingeweiden des Hauses roch es muffig nach altem Urin und nicht mehr frischem Fisch. Er hatte mit Fuads Geld etwas zu essen gekauft, eine Flasche Wein, ein paar Süßigkeiten.
    Die Bonbons waren rosa und so übertrieben süß, daß Keller selbst kein einziges davon hätte essen können. Aber das Mädchen mochte sie gern. Sie hatte die Vorliebe aller Araber für Süßigkeiten, und für ihn war es herrlich, sich auf das Bett zu legen und ihr zuzusehen, wie sie das kleine Geschenk genoß. Er hatte sie eines Abends von der Straße aufgelesen, als sie vor Hunger ohnmächtig geworden war, mit nach Hause genommen und ihr zu essen gegeben. Es war eine Art Affekthandlung, die er später niemals analysierte – fast so ähnlich, wie wenn er eine der vielen streunenden Katzen von Beirut mitgenommen hätte. Aber die lungerten neuerdings um die großen Hotels herum und wurden fett.
    Das Mädchen war so schmal und mager, daß sich ihr Alter kaum feststellen ließ und daß man sich kaum vorstellen konnte, wie sie nach einiger Pflege aussehen würde. Keller gab ihr zu essen, schenkte ihr ein paar Schillinge, mit denen sie sich noch etwas kaufen sollte, und schickte sie weg. Am nächsten Morgen saß sie auf seiner Türschwelle. Sie hieß Souha und hatte ihn wie ein streunendes Tier als ihren Herrn akzeptiert. Keller gab sich alle Mühe, aber sie ließ sich nicht mehr verjagen. Er hob die Faust und tat wütend, aber sie duckte sich nur und blieb sitzen. Sie sprach Französisch, Arabisch und ein wenig Hebräisch. Sie war mit den Flüchtlingen aus Palästina herübergekommen, allein und ohne Angehörige. Ihr Vater war tot, ihre Mutter, eine Französin, lag längst in Jerusalem begraben.
    Sie wollte nichts weiter, als für ihn arbeiten, erklärte sie immer wieder. Seine Frau sein, seine Dienerin, alles, was er wollte, wenn er sie nur bei sich behielt.
    Keller wußte genau, daß er sie nur auf eine einzige Art und Weise loswerden konnte: wenn er sie packte und auf die Straße hinunterwarf. Er sah in die riesigen braunen Augen, die in Tränen schwammen, die in dem schmalen, gespannten Gesichtchen schon beinahe grotesk wirkten – und er wußte, daß er es niemals fertigbringen würde. Er hatte den Hunger kennengelernt, das Übernachten unter freiem Himmel. Er kannte das Schicksal der Heimatlosen dieser Welt, weil er es am eigenen Leibe erlebt hatte. Er verfluchte sie und sich selbst und ließ sie ein. Das war der Anfang einer Gemeinschaft, die nur insofern ungewöhnlich war, daß er sie auch dann nicht schlug, wenn er schlecht gelaunt war, sie nicht auf den Strich schickte, wenn das Geld knapp wurde.
    Als Gegenleistung liebte sie ihn mit einer Hingabe, zu der nur Hunde und Frauen fähig sind. Sie hielt das ärmliche Zimmer sauber, wusch und flickte seine Sachen, kochte ihm sein Essen. Am Anfang weigerte sie sich, mit ihm an einem Tisch zu essen, und bediente ihn nach mohammedanischem Brauch, um sich anschließend selbst mit den Überresten zu begnügen. Sie hatte ihm mit gesenktem Blick ihren Körper dargeboten und dabei gemurmelt, er brauche keine Angst zu haben, sich bei ihr eine Krankheit zu holen, denn er sei für sie der erste Mann. Für Kellers Geschmack war sie zu jung und zu zerbrechlich. Er hatte einige Wochen lang mit einer Nachtklubtänzerin zusammen gelebt. Sie stammte aus England, war unstet und unzuverlässig. Sie bot ihm zwar sexuelle Entspannung, aber keine echte Befriedigung. Eines Tages verließ sie ihn, weil sie im Klub einen reichen Libanesen kennengelernt hatte. Wenn ihm danach war, hatte er immer eine Frau gefunden, angefangen von den unsagbar raffinierten Araberinnen aus Algerien bis hin zu den undurchschaubaren Indonesierinnen vor der Belagerung von Dien Bien Phu. Er kannte jede Form der Liebestechnik und wußte doch nichts von der Liebe von Mensch zu Mensch. Er hatte Souha weggeschickt: Sie sollte sich in ihre Ecke scheren und ihn in Ruhe lassen. Aber dann war er eines Abends nach Hause gekommen und hatte jemanden gebraucht. Sie war wie immer da und sah ihn aus ihren schönen Augen prüfend an, und er merkte plötzlich, wie hübsch sie war. Sie hatte langes, dunkles Haar, das nicht schwarz, sondern bräunlich schimmerte, wenn es gewaschen war, und ihre Haut war so hell wie die einer

Weitere Kostenlose Bücher