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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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ruhige Leben und die Routine ohne Aufregungen. Aber in den letzten drei Jahren war er wie ein Hase gehetzt worden, er mußte reisen, Ermittlungen anstellen, Regazzi ins grelle Licht der Öffentlichkeit folgen, und er haßte nichts so sehr wie diese Hetze. Insgeheim nannte er den erzbischöflichen Palast einen Zirkus, in dessen Manege der Kardinal stand. Er hätte gern abgedankt, aber das ließ Regazzi nicht zu. Die meisten Mitarbeiter des früheren Kardinals waren in den Ruhestand getreten und ersetzt worden. Aus Gründen, die Jameson nicht einzusehen vermochte, blieb er auf seinem Posten ohne Aussicht auf Erlösung.
    Der Kardinal arbeitete bis ein Uhr oder zwei Uhr morgens und las um sechs die Messe. Er erwartete von seinem Sekretär, daß er immer zur Verfügung stand. Und das bedeutete, daß Jameson zwar in einem Sessel des Vorraums einnicken, aber nie richtig schlafen gehen durfte.
    Es war schon nach Mitternacht, aber unter der Tür des Kardinals leuchtete noch ein heller Streifen. Der Monsignore machte es sich in einem Sessel bequem und nickte ein. Er wurde ruckartig wach und spürte dabei, wie seine Brille auf die Nasenspitze rutschte. Neben ihm stand der Kardinal. Er blinzelte hinauf zu dem kräftigen, schmalen Gesicht, hager geworden von heimlichem Fasten und zuwenig Schlaf, und war erleichtert, als er keine Andeutung von Zorn wahrnahm. Regazzi gönnte sich selbst keine Pause. Faulheit duldete er auch bei anderen nicht.
    »Ich habe noch einige Briefe für Sie, Monsignore«, sagte er. »Würden Sie bitte hereinkommen?«
    »Verzeihen Sie, Eminenz«, stammelte Jameson, »ich habe nur für eine Sekunde die Augen zugemacht, und da muß ich wohl …«
    »Sie sind müde«, sagte der Kardinal. Er saß schon hinter seinem Schreibtisch. Im grellen Licht der Tischlampe wirkte er erschöpft. Jameson war das noch nie so sehr aufgefallen. Er erschrak. Was dieser Mann von sich forderte, ging über seine Kräfte. Im ersten Monat nach der Erhebung zum Kardinal hatte einer der Mitarbeiter bemerkt: »Der Kerl ist ein Fanatiker. Wie der Hausmeister mir gesagt hat, verbringt er die halbe Nacht in der Kapelle. Er dachte schon, es hätte jemand eingebrochen! Sie werden sehen, er macht uns das Leben zur Hölle.« Und es wurde auch nicht einfach für diejenigen, die nicht durch jüngere Leute ersetzt wurden, durch Männer, die seinen Missionseifer teilten. Nur ich, dachte Jameson müde, nur ich bin noch da. Noch eine ganze Stunde, bevor ich ins Bett komme!
    In einem plötzlichen Impuls sagte Jameson: »Sie sollten sich ausruhen, Eminenz, Sie sehen erschöpft aus. Geben Sie mir die Briefe, ich werde sie bis morgen früh lesen. Gehen Sie doch zu Bett.«
    Regazzi lächelte, wenn er interviewt wurde. Er lächelte, wenn er öffentlich auftrat und wenn er fotografiert wurde. Doch seine Mitarbeiter bekamen dieses Lächeln nur selten zu sehen. Aber jetzt lächelte er Jameson an und klopfte leise auf den Tisch. »Nehmen Sie doch bitte Platz, ich möchte mit Ihnen sprechen.«
    Jetzt kommt es, dachte der Ältere, jetzt wird er mir sagen, daß ich abgelöst werde. Ich bin zu alt, schaffe die Arbeit nicht mehr. Ich habe ihm die Handhabe geliefert, indem ich bemerkte, daß er selbst müde sei. Seltsamerweise war er enttäuscht und gar nicht erleichtert.
    »Wir arbeiten zusammen, seit ich hier bin«, sagte der Kardinal. »Ich wollte Ihnen schon oft für Ihre wertvolle Mithilfe danken, aber irgendwie kam ich nie dazu. Das möchte ich jetzt nachholen.«
    Jameson nickte nur. Das war es also. Ausgerechnet um fünf vor eins mitten in der Nacht wurde ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt.
    »Ich möchte Sie etwas fragen: Was wird nach Ihrer Meinung mit dem Volk dieses Landes geschehen, wenn John Jackson ins Weiße Haus einzieht?«
    Diese Frage bedeutete eine solche Überraschung, daß Jameson nur den Mund aufmachte, ohne ein Wort hervorzubringen. Aber dann tat er seine Meinung kund, ohne sich um besonders intelligente Formulierungen zu kümmern. Der Kardinal stachelte alle Menschen in seiner Umgebung auf, es ihm gleichzutun, aber in dieser Nacht war Jameson viel zu müde, um sich noch zusammenzureißen.
    »Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht«, sagte er. »Das wird ohnehin nicht geschehen. Ein solcher Gauner wird doch nicht gewählt.«
    »Wir fördern ihn«, sagte der Kardinal. »Vor ein paar Jahren wäre das unmöglich gewesen, da war er nichts weiter als ein obskurer Mann in einem obskuren Bundesstaat. Jetzt kämpft er um die Spitze.«
    »Er

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