Der Meuchelmord
Pfeife wieder in die Tasche und sah im Licht der Lampe, daß Regazzi ihm die Hand entgegenstreckte. Aber er drückte sie ihm nicht. Er sank steif auf ein Knie und küßte den Bischofsring. Dabei fiel ihm ein, daß der Kardinal den fünfundzwanzigkarätigen Amethyst gegen Glas vertauscht und den Edelstein für karitative Zwecke verkauft hatte.
»Wenn Sie dieses Tempo durchstehen, Eminenz«, sagte er, »dann gebe Gott, daß ich es auch kann. Gute Nacht.«
Nachdem er gegangen war, ordnete Regazzi seine Papiere und verschloß die Schreibtischschubladen. Er schaltete die grelle kleine Lampe an dem langen, biegsamen Fuß aus, so daß im Zimmer nur noch eine kleine Wandlampe brannte. Auch die schaltete er an der Tür aus und ging. Sein Zimmer lag im selben Stockwerk wie sein Büro. Er war aus der luxuriösen Zimmerflucht ausgezogen, die frühere Kardinäle bewohnt hatten, und hatte sich ein spartanisches Schlafzimmer eingerichtet, das nur das Allernötigste enthielt. Er verbrachte hier ohnehin herzlich wenig Zeit.
Aber in dieser Nacht suchte er nicht sein Zimmer auf, sondern er ging weiter und die Treppe hinunter. Auf seine Anweisung hin wurde die Kapelle nie abgesperrt. Er betrat sie und blieb stehen. Hier herrschte keine Kargheit, hier waren Pomp und Luxus nicht rücksichtslos abgeschafft worden. Gerade dadurch hatte er sich bei seinen Priestern so unbeliebt gemacht. Das hier war der Tabernakel Gottes, der Schrein des ewigen Mysteriums, das Geheimnis, das Martino Regazzi aus dem dunklen Slum seiner Jugend emporgeführt hatte zum Kreuzzug für die himmlische Gerechtigkeit. Zur Ehre Gottes – nicht zu seiner eigenen. Er beugte das Knie, trat vor den Altar und kniete dort nieder. Vielleicht war es diese Stille, die sich so sehr vom Chaos seines Alltags unterschied, die ihm die Berufung ins Herz gelegt hatte. Er wußte es nicht. Er hatte viel darüber nachgedacht und seine Motive sorgfältig nach Stolz und psychologischen Beweggründen abgesucht. Zweifellos gab es noch andere Erklärungen als den Ruf Gottes, aber er wurde sich ihrer nicht bewußt. Er liebte den Frieden, das Alleinsein in der leeren Kapelle, die Gemeinsamkeit mit einer großen Gegenwart. Wenn der Kardinal Trost und Ermutigung brauchte, dann fand er sie hier. Er hatte in dieser Nacht eine Entscheidung gefällt, vielleicht die wichtigste Entscheidung seines Lebens seit seiner Berufung zum Priesteramt.
Er hatte beschlossen, die Todsünde auf sich zu nehmen und in die Politik zu gehen. Das war kein leichter Entschluß. Er war ein tapferer Mann und hatte von seiner sizilianischen Großmutter ein gut Teil Braggadocio geerbt, aber was er von der Kanzel der St.-Patricks-Kathedrale aus verkünden wollte, würde die Schleusen des Himmels über ihm öffnen. Die Kirche stellte eine politische Macht dar; nur war das nicht als Kompliment gemeint, wenn jemand es sagte. Selbst gläubige Katholiken gingen gern darüber hinweg. Der Vatikan war fern, und ihm verzieh man es, wenn er sich in der internationalen Politik wie eine Staatsregierung gebärdete, aber Gott sei dem Priester gnädig, der sich zu Hause für einen Kandidaten einsetzte. Das war einer der Gründe, aus denen sich Regazzi neutral verhalten und geweigert hatte, für den logisch erscheinenden Kandidaten einzutreten, einen Demokraten aus irisch-katholischer Familie, die den letzten Kardinal zum engsten Freundeskreis zählte. Er mochte diese Leute nicht. Millionäre waren ihm fremd, auch wenn ihre Herkunft noch so ähnlich war. Der Kardinal glaubte an den unpopulären Spruch, daß ein guter Mann nie im Reichtum stirbt; er ging sogar noch weiter und erklärte, er könne auch nicht im Reichtum leben. Er hatte Casey nicht unterstützt, weil er unabhängig bleiben und nicht der Beichtvater des Weißen Hauses werden wollte. Aber einen Mann nicht zu unterstützen war etwas anderes, als von einer Verurteilung abzusehen. Unterlassungssünden sind noch grauenhafter als die übrigen. Sie zeugen von Feigheit, Gleichgültigkeit, Trägheit. John R. Jackson war das Schlimmste, was es seit Menschengedenken für die amerikanische Politik geben konnte. Viele Leute bekämpften ihn, aber Regazzi hatte den Eindruck, daß sich von den Zitadellen des amerikanischen Katholizismus aus noch keine energische Stimme gegen ihn erhoben hatte. Die Kirche Gottes war in seinen Augen die Kirche der Armen, der Farbigen, der Unterdrückten, der Verstoßenen – und nicht der ehrbaren Leute, deren Sicherheit gerade durch diese Elemente bedroht
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