Der Meuchelmord
der klügsten jungen Männer im KGB galt. Es dauerte fest zehn Jahre, bis er entsprechend darauf vorbereitet war, als Edward King in die Staaten zurückzukehren. Aber bei einer solchen Chance für Kontakte auf höchster Ebene war Moskau geduldig. King lernte, wie ein Amerikaner zu denken, zu reden, sich zu bewegen, zu reagieren. Kleine Abweichungen konnte man immer noch auf seinen langen Aufenthalt in Konzentrationslagern und in Frankreich zurückführen. Drei seiner Ausbildungsjahre verbrachte er in Paris, bereits in der Rolle von Eddi King, führte sich bei den Angehörigen der nach dem Krieg entstandenen amerikanischen Kolonie ein und bereitete gleichzeitig mit peinlicher Sorgfalt den Boden für seinen Start in Amerika vor, wo der KGB ihm den Zugang zum innersten Kreis der amerikanischen Reaktionäre finanzierte.
Unter dem Deckmantel seiner Zeitschrift ließ sich ein Spionagenetz aufbauen, das den Osten mit wertvollen Informationen über die amerikanische Politik versorgte. Er lernte in jedem Bereich einflußreiche Männer kennen und gelangte selbst zu Macht und Einfluß, so daß er schließlich andere bedeutende Persönlichkeiten so manipulieren konnte, wie es den Sowjets paßte. King war zu einem der wichtigsten Agenten der Welt geworden. In diesen fünfzehn Jahren war ihm nie der geringste Fehler unterlaufen, er hatte nie den leisesten Verdacht erregt. Nach dem geplanten Attentat am 17. März würde er wahrscheinlich als der Meisterspion des zwanzigsten Jahrhunderts in die Geschichte eingehen, aber auch erst, wenn die Wahrheit durchsickerte – vielleicht eine Generation später.
Kluge Männer gab es genug, aber er konnte von sich behaupten, ein Genie zu sein. Huntley Cameron war klug – so klug, daß er die katastrophalen Auswirkungen der Präsidentschaft eines Mannes wie John Jackson voraussehen konnte. Er war skrupellos genug, um auf Kings dezente Andeutungen einzugehen und sich bereit zu erklären, die Beseitigung dieses Mannes zu finanzieren. Der Begriff ›beseitigen‹ stammte von King. Er arbeitete immer gern diskret und trat als Intellektueller auf, der einen Mord nur am Rande erwähnte. Huntley Cameron dagegen nannte die Dinge beim Namen, wobei ein Mord ihm keine Gewissensbisse verursachte.
So nahm das brillante Vabanquespiel, das seinen Ursprung im Politbüro hatte, in dem exportierten deutschen Schloß Gestalt an, wobei Eddi King unauffällig den Regisseur mimte. Er mußte Camerons Urteilsfähigkeit bewundern: Sie lag genau auf derselben Linie wie die Meinung der politischen Experten in der Sowjetunion. Wenn John Jackson Präsident wurde, mußte man in Amerika innerhalb von zwei Jahren mit einem Bürgerkrieg rechnen. Die Studentenunruhen und die Übergriffe der Radikalen, die das Land bereits jetzt erschütterten, würden sich neben dem Chaos und Blutvergießen nach John Jacksons Wahl ausnehmen wie eine Kissenschlacht unter Kindern. Nur einer konnte Jackson den Weg versperren: Patrick Casey, der zähe, echt liberale Kandidat der Demokraten. Drouet hatte es schon an jenem Abend in dem Pariser Edelbordell ausgesprochen: Seine Machtübernahme könnte den Fortschritt des Kommunismus um fünfzig Jahre zurückwerfen. Deshalb hatte sich Cameron hinter Casey gestellt, deshalb war er bereit, so weit zu gehen, daß er Jackson lieber ermorden ließ, als ihn an die Macht gelangen zu lassen.
Und deshalb lag es im Interesse der sowjetischen Politik, daß Jackson nicht nur kandidierte, sondern auch die Wahl gewann.
King trat ans Fenster und sah hinaus. Das Grundstück reichte, soweit sein Auge blickte. Eine herrliche Eiche gefiel ihm ganz besonders. Sie stand als kraftvolle, majestätische Silhouette vor dem Himmel, selbst jetzt, wo der Wind sie ihres Laubes beraubt hatte und sie ihre kahlen dunklen Äste emporreckte. King fiel plötzlich ein, daß er nach diesem Wochenende den schönen Baum niemals wiedersehen würde. Ein Attentat gegen Casey war die logische Fortsetzung des blutigen Pfades, den die Mörder von John und Robert Kennedy eingeschlagen hatten. Es war ein ebenso logischer wie törichter Weg: Wenn Casey getötet würde, konnten die Demokraten einen beliebigen Demokraten aufstellen, und er wäre aus einem überwältigenden Schuldgefühl heraus gewählt. Es sollte nicht Casey sein, der sterben mußte. Der aus Beirut importierte Mörder würde einen anderen Nationalhelden erschießen, einen Mann, der sich nicht nur eindeutig hinter Casey gestellt hatte, sondern der auch als Vorkämpfer für die
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