Der Meuchelmord
Rolle, in die er sich hineingelebt hatte. Aber King hatte zweimal erlebt, wie er geschäftliche Verhandlungen führte. Dann war er so ruhig und vernünftig wie ein Buchhalter. Ein falscher Ton, ein unrichtiges Wort, und schon packte er zu. Deshalb tastete sich King so vorsichtig vor, als ginge er einen schmalen Pfad zwischen lauter Brennesseln.
Er ließ sich in einen Sessel sinken und zündete sich eine Zigarette an. Er liebte diese Musikgalerie, weil hier zwei der schönsten Vermeers hingen, die er je gesehen hatte, außerdem ein herrliches altdeutsches Cembalo, das einmal einer Frau Kaiser Karls V. zum Geschenk gemacht worden war. Einmal hatte Huntley ihn aufgefordert, das Instrument zu öffnen und es auszuprobieren. Die Töne klangen noch genauso rein und silberhell wie vor fünf Jahrhunderten. Die ätherische Schönheit, die dieser kleine, wunderbar geschnitzte Kasten mit seinen Saiten und Federkielen barg, hatte King an die Seele gerührt. Er hatte schon immer etwas für die Kunst übrig gehabt.
»Glauben Sie ja nicht, daß ich so kaltblütig an diese Sache herangehe«, sagte er. »Schließlich geht es um ein Menschenleben. Aber ich glaube an die Existenz einer patriotischen Pflicht, die sogar eine solche Tat rechtfertigt. Ich glaube daran, daß wir Jackson beseitigen lassen müssen, wenn wir nicht unser Land in Anarchie und Bürgerkrieg stürzen wollen.«
Cameron neigte den Kopf ein wenig und sah ihn an. Er antwortete nicht gleich, sondern musterte King nur, als sei ihm plötzlich mitten im Gesicht eine zweite Nase gewachsen. »Sie haben wohl den Verstand verloren, wie?« sagte er dann. »Kaltblütig? Ich würde den Schweinehund eigenhändig erschießen, wenn ich es riskieren könnte. Also verschonen Sie mich mit diesem Quatsch, Eddi. Er muß beseitigt werden. Und eines möchte ich noch klarstellen: Wenn unser Mann seine Aufgabe erfüllt hat, bekommt er das Geld und die Papiere – verstanden?«
»Selbstverständlich«, antwortete King. »Wir werden unser Versprechen halten.«
»Ich überlege gerade«, murmelte Huntley, »was passiert, wenn wir ihn nicht ins Ausland schaffen können, wenn er geschnappt wird?«
Kings Miene blieb ausdruckslos. »Dann haben wir eben Pech«, sagte er. »Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht. Bei dieser Flucht ist mir gar nicht wohl.«
»Dann kümmern Sie sich darum, daß es anders erledigt wird«, befahl Huntley. »Gleich nach dem Schuß. Geben Sie Auftrag, daß ihn jemand niederknallt.«
»Wenn Ihnen das recht ist, wäre mir weitaus wohler«, sagte King. »Soll ich das arrangieren?«
»Sie haben ja bisher alles arrangiert«, entgegnete Huntley. »Sorgen Sie dafür, daß alles klappt, und geben Sie mir die Rechnung. Gehen wir hinunter. Ich möchte mit Elizabeth sprechen.«
King zögerte. »Ich komme gleich nach. Dauert nicht lange.« Er wartete, bis Huntley gegangen war, dann wandte er sich ab und lief hinauf zu seinem Zimmer. Eigentlich sah er gar keinen Grund, aus dem er Huntley nicht hätte begleiten sollen, nur wollte er für einen Augenblick allein sein, sozusagen kurz von der Bühne abtreten. Außerdem hatte er das Bedürfnis, sich selbst zu seinem Erfolg zu gratulieren, alle Einzelheiten noch einmal in Ruhe durchzugehen und zu überlegen, ob er auch wirklich nichts vergessen hatte. King trat vor den prächtigen Wandspiegel und strich sich das dichte Haar glatt. Edward Francis King. Den richtigen King hatte er niemals gesehen. Das Foto, das nach seiner Festnahme durch die Gestapo aufgenommen worden war, zeigte nicht viel mehr als eine starre Miene, von vorn und von der Seite aufgenommen, doppelt grotesk durch das kurzgeschorene Haar. Nur die Augen waren ihm in Erinnerung geblieben, diese großen, angstvollen Augen. Edward Francis King war umgekommen, bevor die Russen das Konzentrationslager erreichten. Von ihm war nichts weiter übriggeblieben als eine Akte mit seinen Fotos und eine Schaufel voll Asche im Krematorium. Diese Akte wanderte zusammen mit allen anderen beschlagnahmten Unterlagen in die Archive des KGB. Die Toten waren ein nützlicher Deckmantel für Agenten, die gleich nach dem Krieg kurzfristig in Westdeutschland eingesetzt wurden. Aber dieser King, dieser Amerikaner, der kurz vor der Befreiung des KZs an Typhus gestorben war, erwies sich als so wertvoll, daß seine Identität nicht für kleine Aufträge vergeudet wurde. Man wählte ihn, die Rolle von King zu übernehmen, weil eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden war und weil er als einer
Weitere Kostenlose Bücher