Der mieseste Liebhaber der Welt
Lebensgefährtin hatte offenbar einen Orgasmus, der sich gewaschen hatte, sie bebte und zitterte am
ganzen Leib. Es war schön, Annie so zu erleben, und ich merkte, wie sehr ich einverstanden war mit diesem Menschen in meinem
Leben, wie sehr ich ihr
das hier
gönnte. Dennoch verunsicherte mich diese Szene bis ins Mark. Ich fürchtete, dass diese Szene nicht nur ein grandioser Orgasmus,
sondern auch ihr Startsignal für ein neues Leben sein könnte. Ein Leben ohne unsere ehemals leidenschaftliche Beziehung, die
in den letzten Jahren schleichend in eine Partnerschaft, eine warmherzige Freundschaft, eine asexuelle Lebensgemeinschaft
abgedriftet war. Das Problem an Annies Orgasmus war, dass es nicht auch
mein
Orgasmus war. Das Problem an Annies Orgasmus war, dass ich sie nur dabei beobachtete, wie sie das genoss, mit jeder Faser
ihres ausgehungertenKörpers. Ich hatte es angesehen mit der verstörten und ungläubigen Faszination eines Mannes, der zum ersten Mal einen Swinger
Club besucht. All das war in Ordnung auf dem Papier, so sind die Spielregeln auf diesem Rummelplatz der erotischen Ausschweifung.
Ich wusste, worauf ich mich einließ.
Alles kann, nichts muss
. Aber auf Annies Schrei war ich nicht vorbereitet.
Le petit mort
. Der kleine Tod.
***
2004 wurde die Studie eines Kondomherstellers veröffentlicht. In der »Durex Global Sex«-Umfrage kam raus, dass die Menschen
2004 weltweit durchschnittlich 10 3-mal Sex im Jahr hatten. Einhundertdrei Mal. Das ist ein hübscher Wert, auch wenn man berücksichtigte, dass Jungs wie Michael
Douglas oder Mick Jagger die Quote ordentlich nach oben getrieben haben dürften. (Den meisten Sex hatten 2004 übrigens Franzosen:
137 Akte im Jahr. Bummelig also elf Mal im Monat, das kann man sich besser vorstellen. Aktiver Haufen, diese Gallier.)
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bekenne freimütig: 13 7-mal Sex im Jahr hört sich für mich nach einer Kasernierung in einem Hochleistungscamp an. Schon wenn Annie von mir verlangt hätte,
mit ihr 10 3-mal im Jahr zu schlafen, wäre ich vermutlich auf einen anderen Kontinent geflüchtet. Dabei liebte ich meine Lebensgefährtin.
Und an meiner Erektionsfähigkeit war auch nichts auszusetzen. Ich war immer noch scharf auf so ziemlich alles, was einen Rock
trug. Besonders hübsch mussten die Frauen gar nicht sein, die mich anmachten, manchmal reichte ein schönes rückenfreies Kleid,
ein wohlgeformter Busen, ein Silberblick oder die Geste, mit der sie sich für das Wechselgeld beim Metzger bedankten. Ich
war also nicht gerade schwer zu entflammen, wenn Sie wissen, was ich meine, aber bei Anniefunktionierte das einfach nicht mehr so richtig. Sie war attraktiv, sie war lustig, sie war smart, experimentierfreudig und
lustvoll. Wir waren seit sechs Jahren ein Paar, nachdem sie mich erst ein paar Monate mit viel Humor und warmherzigem Spott
betreut
und zusammen mit mir die Zeit nach der »Magdalena«-Krise überstanden hatte. Natürlich war sie kein bisschen dick und auch
nicht klein. Die Kontaktdaten von Magdalena hatte sie mir nie ausgehändigt – das kam für sie einfach nicht in Frage. Immer
mal wieder dachte ich an Magdalena und wurde das Gefühl nicht los, einen Hinweis übersehen zu haben. Irgendetwas, das mich
auf ihre Spur bringen würde. Die Erinnerung an Magdalena war wie eine offene Wunde, die nicht verheilen wollte. Daran änderte
auch meine Beziehung zu Annie nichts.
Annie und ich lebten seit vier Jahren zusammen. Wir hatten es anders angestellt als die meisten Paare. Wir waren zuerst Freunde
geworden und dann ein Liebespaar. Die Freundschaft war geblieben: Annie war meine
beste
Freundin. Gegen uns wirkten die Marx-Brothers wie eine Horde von Misanthropen. Ich kannte nur wenige Paare, die eine so harmonische
Beziehung führten wie wir. Es gab da nur dieses eine Problem: Annie und ich hatten nur noch selten Sex.
Ich persönlich fand das gar nicht so dramatisch, aber Annie meinte immer häufiger, das sei nicht normal. Sie sei einfach noch
nicht bereit, ihren Körper aufzugeben und ihre sexuellen Bedürfnisse vollends zu ignorieren. Und man müsse dieser Unlust mal
auf den Grund gehen, bevor wir völlig austrockneten. Ich hielt das zwar für überflüssig, aber wenn Annie sich Sorgen machte?
Meinetwegen – ich war dabei. Aus diesem Grund begaben wir uns seit ein paar Monaten in eine Paartherapie bei einer früh vergreisten
Dame namens Weihrauch, die aussah, als
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