Der mieseste Liebhaber der Welt
Wendepunkt
befand. Aus meiner besten Freundin im World Wide Web würde die Liebe meines Lebens. Ich erhielt eine neue Chance. Nach diesem
Abend in ihrer Wohnung waren meine letzten Zweifel beseitigt. Die Jahre voller Zweifel und Einsamkeit, der Suche und der oberflächlichen
Begegnungen, all das wäre endlich vorbei. Ich verlor keine Zeit und machte mich sofort auf den Weg zu den Landungsbrücken.
Das Grinsen auf meinem Gesicht setzte meinem Kiefer langsam ernsthaft zu. Ich dachte nicht eine Sekunde lang an die Möglichkeit,
dass Magdalena das alles anders sehen könnte als ich. Sie im Arm zu halten, sie zu küssen und mit ihr zu schlafen war so unbeschreiblich
schön gewesen – es war einfach nicht möglich, dass solch ein Gefühl eine einseitige Sinnestäuschung war, es musste einfach
das Ergebnis einer göttlichen Fügung, einer alchemistischen Verbindung sein. Es war offensichtlich. Wir würden alles schaffen.
Wir würden ein Leben haben, Kinder, eine Zukunft.
Gegen 0:30 Uhr wurde ich nervös. Warum verspätete sich Magdalena so? Wo blieb sie? Ich rannte auf den Landungsbrücken hin und her, um
sicherzugehen. Nichts. Gegen eins kamen die Fragen. Was war schiefgelaufen? Hatte ich irgendwas dramatisch missverstanden,
hatte mich meine Sehnsucht an der Nase herumgeführt? Ich konnte mir nicht erklären, warum nicht auch Magdalena darauf brannte,
unser neues Leben so schnell wie möglich zu beginnen. War sie eingeschlafen, erschöpft und glücklich?
Kurz vor zwei Uhr stand ich wieder vor ihrer Türe. Esmusste die obere Klingel sein.
Hilgers
. Von mir aus. Ich drückte den Knopf. Ungefähr zwanzig Mal in den nächsten beiden Stunden. Ich wählte ihre Nummer auf meinem
Mobiltelefon. Keine Reaktion. Kein Türsummer. Keine Magdalena am Telefon, kein Anrufbeantworter. Gegen halb fünf war ich zu
Hause und sprintete zum Computer, von einer schlimmen Ahnung getrieben. Ich meldete mich bei »Got’ you« an und gab ihren Namen
ein:
Dummy77
. Die Auskunft kam prompt und traf mich wie ein Gewehrschuss: »
Der Teilnehmer hat seinen Account gelöscht.
«
An diesem Tag war ich für ein paar Stunden der glücklichste Mensch der Welt gewesen. Ich zahlte einen hohen Preis dafür. Möglicherweise
bin ich heute noch dabei, mein Konto auszugleichen. Ich lungerte ein paar Tage vor Magdalenas Wohnung auf der Geschwister-Scholl-Straße
herum und klingelte jede Stunde, bis der Hausbesitzer, der im Erdgeschoss lebte, mich schließlich zur Rede stellte:
»Darf ich mal fragen, was Sie hier treiben?«
Ich erzählte ihm von Magdalena, doch er wusste offenbar nicht, von wem ich redete.
»Im ersten Stock wohnt bloß ein Mieter, und das ist ein Mann. Der ist aber momentan für drei Monate auf Reisen. Ich würde
Sie bitten, uns hier nicht länger zu belästigen.«
In den Wochen danach observierte ich die Wohnung nur noch sporadisch und weniger auffällig. Nie brannte Licht im ersten Stock.
Ich kontrollierte jeden Tag, ob Magdalena sich vielleicht unter anderem Namen wieder bei »Got’ you« angemeldet hatte, ich
forschte auch auf allen anderen Datingportalen nach. Nichts. Keine Spur von ihr. Ich versuchte es ein paar Wochen vergeblich
unter ihrer Telefonnummer. Da ich wusste, dass dieser
Hilgers
irgendwann einmal von seiner Reise zurückkehren musste, versuchte ich es immer weiter.
Heinz Hilgers, Hamburg
»Hilgers?«
»Hallo?? HALLO?«
»Ja? Wer spricht denn da?
»Sie sind zurück? Sie sind ZURÜCK!«
»Na ja, offenbar. Was ist denn los, wer sind Sie denn?«
»Oh entschuldigen Sie bitte, aber ich versuche jetzt schon länger, Sie zu erreichen. Es geht um Magdalena!«
»Um wen?«
»Magdalena? Sie kennen doch Magdalena?«
»Sagt mir jetzt erst mal nichts.«
»Aber ich habe doch Ihre Nummer … sie hat bei Ihnen gewohnt … ich habe sie unter dieser Nummer angerufen.«
»Unter dieser Nummer? Das ist nicht … ach so, doch, natürlich. Das ist vermutlich die Dame, der ich meine Wohnung für einen Monat untervermietet hatte. Die hieß
aber nicht Magdalena, soviel ich weiß.«
»Nicht? Tja, das verstehe ich jetzt auch nicht. Können Sie mir nicht vielleicht ihre Telefonnummer oder ihre E-Mail -Adresse geben?«
»Nein, das kann ich leider nicht, das lief alles über eine Mitwohnzentrale. Ich hatte keinen persönlichen Kontakt.«
»Hat sie in der Wohnung etwas hinterlassen, eine Visitenkarte, einen Brief oder so etwas?«
»Nein, tut mir leid, nichts. Warum interessiert Sie
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