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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Die Stille war so endgültig, dass alle Hoffnung erstarb. Da musste sie fürchterlich weinen und wachte geschüttelt von ihrem eigenen Schluchzen auf.
    Zwischen den Fellen drang fahles Morgenlicht in den Raum. Früher war sie nach solchen Heimsuchungen lange liegen geblieben, um die Bedeutung der Bilder zu enträtseln. Heute beschäftigte sie sich nur noch mit den Träumen, die ihr ein gutes Gefühl vermittelten, die anderen verbannte sie schleunigst in die hinterste Kammer ihrer Seele, damit sie in Vergessenheit gerieten. Natürlich war ihr klar, dass sie sich selber etwas vormachte, das Leben bestand nicht nur aus angenehmen Dingen, aber sie war davon überzeugt, dass sie in ihrem Alter schon das Ärgste überstanden hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich täuschen sollte.
    Entschlossen erhob sie sich vom Bett und schlüpfte in den Wollumhang. Ich muss mich beschäftigen, dachte sie und stieg in die Holzschuhe. Mit wenigen Schritten erreichte sie den Eingang und drückte die Tür auf. Die Morgenluft kühlte ihr Gesicht und vertrieb den restlichen Schlaf. Sie bewegte sich zum Stall, um die Schüssel mit Gerstenkörnern zu füllen, als ihr auffiel, dass das Tor geöffnet war. Außerdem stand das Schlachtross mitten auf dem Hof. Vor dem grauen, zerklüfteten Morgenhimmel sah der schwarze Hengst aus wie der Bote aus einer anderen Welt.
    »Dankwart«, rief Agnes und reckte den Kopf in alle
Richtungen. »Warum nimmst du dem Tier nicht den Holzsattel ab? Es wird sich noch verkühlen, wenn es weiter so verschwitzt dasteht. Dankwart, wo steckst du?«
    Kurz entschlossen ging sie zur Hütte des Knechts, aber das Bett war leer. Sie sah in den Stall und erkannte mit einem Blick, dass auch der Ackergaul fehlte. Agnes rannte einmal um das Bruchsteinhaus, aber sowohl von ihrem Ehemann als auch von Leutfried fehlte jede Spur. Nichts deutete daraufhin, dass sie in der Nacht heimgekehrt waren. »Was ist hier los?«, murmelte sie und blickte wieder zu dem Schlachtross, das völlig unbewegt dastand.
    Plötzlich wurde ihre Brust so eng, als zöge sich eine Stahlfessel zusammen. Wie so oft erfasste ihr Gefühl die Situation schneller als ihr Verstand. Sie wollte sich beherrschen, wollte Ruhe bewahren, aber ihre Hände zitterten schon und die schreckliche Gewissheit stellte sich ein, dass Dankwart nie mehr heimkehren würde.
    Am liebsten hätte Agnes sich hingelegt und für immer die Augen geschlossen. Sie war so unglaublich müde. Ja, sie wollte ihr ganzes Leben verschlafen, bis sie wieder mit Dankwart vereint war.
    Da fiel ihr der stumpfe und ausdruckslose Blick des Tieres auf und Agnes wurde plötzlich unglaublich zornig. »Warum hast du ihm nicht beigestanden? Warum hast du ihm nicht geholfen? Vielleicht wäre er dann noch am Leben!« Sie wusste kaum, was sie tat, als sie loslief, aber ihre Füße unternahmen schnelle, gezielte Schritte. Erst als sie die Tür zur Küche aufstieß, wurde ihr klar, wonach sie suchte.
    »Was... was ist los, Mutter?« stammelte ihre Schwiegertochter, stemmte sich vom Bett hoch und beschirmte
ihre Augen gegen das Morgenlicht. »Warum atmest du so schwer? Weinst du etwa? Und wo willst du mit dem Schlachtermesser hin?«
    Agnes war schon draußen und rannte auf den Hengst zu. »Warum hast du ihm nicht beigestanden?«, brüllte sie. »Du elender Klepper, du Schindmähre, du... du... Er hätte dich niemals im Stich gelassen. Er wäre dir keinen Schritt von der Seite gewichen. Warum bist du nicht bei ihm geblieben?« Als sie dem Hengst das Messer an die Kehle setzte, drehte das Tier seinen mächtigen Schädel in ihre Richtung. Die großen, dunklen Augen drückten weder Furcht noch Schmerz aus. Keinerlei Gefühle spiegelten sich darin, die mit den ihren vergleichbar gewesen wären. In ihnen erkannte Agnes nur die Ergebenheit, welche die niedere Kreatur seinem Herrn entgegenbrachte.
    Agnes konnte dem arglosen Tier unmöglich ein Leid zufügen. Das Messer fiel ihr aus der Hand. Ihre Beine gaben nach und ein heftiges Zucken erfasste ihren ganzen Leib.

Im Jahre des Herrn 1183

1.
    Im Frühjahr des folgenden Jahres läuteten die Glocken des Freiburger Münsters schon seit dem frühen Samstagmorgen. Die Bürger hatten sich zur öffentlichen Eheschließung eingefunden und reckten die Köpfe, um einen Blick auf die neue Herrin werfen zu können. Laut riefen sie Segenswünsche und rühmten ihre Schönheit: »Möge der Allmächtige Euch viele Kinder schenken!... Seht nur, sie ist so zart wie ein Engel!«
    Ein

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