Der Minnesaenger
langer roter Teppich, bestreut mit zahllosen Blütenblättern, führte auf das Portal des Münsters zu. Der Herzog von Zähringen schritt langsam voran, was nur majestätisch aussah, wenn man nicht genauer hinschaute. Ida von Boulogne hatte ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt. Das mit Goldfäden durchwebte Gewand verlieh ihr einen herrschaftlichen Glanz.
Plötzlich blieb Berthold stehen und setzte den linken Fuß mit größter Vorsicht auf. Der Kontakt mit dem Boden bereitete ihm offenbar so große Schmerzen, dass er seinen Diplomaten heranwinkte. Hartmann ignorierte den eifersüchtigen Blick des Thronfolgers und begab sich auf kürzestem Weg zu seinem Herrn.
»Was ist los?«
»Die verdammten Beine! Ich kann kaum noch laufen!«
»Ich könnte einen Stuhl beschaffen, auf dem wir Euch den restlichen Weg tragen.«
»Und was sollen die Bürger denken? Nein, nein! Reich mir nur deinen Arm. Die paar Schritte schaffe ich noch.« Der Herzog hob den Kopf und rief in die Menge: »Schaut nicht so besorgt, dazu besteht kein Anlass. Heute Morgen hab ich mir den Knöchel verstaucht, das ist alles.«
Ein grauhaariger Zimmermann, eine pummelige Marktfrau und ein Gassenbengel standen in vorderster Reihe eng beieinander. An Alter, Aussehen und Kleidung hätten sie kaum unterschiedlicher sein können, aber der erschrockene Ausdruck in ihren Gesichtern ähnelte sich stark. Der Herzog hatte ihnen stets als Sinnbild für Kraft, Mut und Stärke gegolten und jetzt erkannten sie, dass sie sich getäuscht hatten. Vor ihren Augen schleppte sich ein alter, kranker und gebrechlicher Mann vorbei. Die Jubelrufe und Segenswünsche verstummten, dafür wurde viel geflüstert.
»Was reden sie?«, fragte Berthold.
»Ich kann kein Wort verstehen«, erwiderte sein Diplomat.
Als ein Mann durch die Menge brach, griff Hartmann nach seinem Schwert, aber er erkannte schnell, dass keine Gefahr drohte. Das längliche Gesicht gehörte Arnold von Guines, dem früheren Liebhaber der Braut. Hartmann hatte ihn auf seiner Mission in Flandern kennengelernt. Die Wachsoldaten beachteten den französischen Adeligen nicht, weil er keine Anstalten unternahm, sich dem Brautpaar weiter zu nähern. Sein Blick war so glasig, als hätte er Trost im Beerenwein gesucht.
»Liebste Ida«, sagte er in der Sprache der Franken. »Du sollst wissen, dass meine Liebe zu dir stark ist. Schon in naher Zukunft wird dieser alte Mann sterben und wir werden wieder vereint sein. Nichts kann uns dann noch trennen.«
»Arnold«, rief Ida, »du bist es wirklich. Kein Tag ist vergangen, an dem ich nicht an dich denken musste. Du bist...«
»Schluss jetzt!«, sagte der Herzog aufbrausend, nachdem er verdutzte Blicke von einem zum anderen geworfen hatte. Jetzt packte er seine Braut und zerrte sie weiter, wobei er den Gaffern giftige Blicke zuwarf. »Was wollte dieser Franzmann? Was hat er gesagt?«, fragte er seinen Diplomaten.
Hartmann wusste um das schwere Los, das Ida mit unzähligen jungen Edelfräuleins teilte. Auf dem hart umkämpften Heiratsmarkt blieb für ihre Sehnsüchte und Herzensangelegenheiten kein Platz. Der Herzog hingegen hatte bekommen, was er wollte. Deshalb geriet Hartmann in keinen Gewissenskonflikt, als er ihm eine ausweichende Antwort gab und der Braut damit weiteres Leid ersparte. »Seine Worte sind für Euch nicht von Interesse.«
»Was für mich von Interesse ist, entscheide immer noch ich, aber es ist auch egal. Ida soll sich in mein Bett legen und mir einen Sohn gebären. Hinterher kann sie anfangen, was sie will.« Der Herzog drückte seine Braut vor dem Altar hinunter auf ein Kissen, das in den Farben der Zähringer gehalten war, und kniete sich selbst unter lautem Zähneknirschen, Ächzen und Stöhnen nieder.
Rudolf von Lüttich hatte das Brautpaar im Kirchenportal erwartet. Vor der weltlichen Zeremonie würde er ein Gebet sprechen. Nun hob er segnend die Arme und
sprach: »Domine sancte, pater omnipotens, eterne Deus, qui cuncta solus ordinas et recte disponis ....«
Mit Sorge betrachtete Hartmann das rote Gesicht seines Herrn. Im vergangenen Jahr hatte sich sein gesundheitlicher Zustand stark verschlechtert. Bruder Stephan führte die Symptome auf den übermäßigen Genuss von Beerenwein und Wildsaubraten zurück. Der medicus hatte gesagt, dass der Herzog sterben würde, wenn er nicht bald seine Gewohnheiten änderte.
2.
Judith und Agnes hatten sich angewöhnt, die Krankenbesuche gemeinsam zu erledigen, was zwei entscheidende Vorteile hatte: Zum
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