Der Minnesaenger
zu können.
»Du musst mir helfen«, sagte er. »Ich weiß einfach nicht, wie wir uns von den anderen Bewerbern abheben sollen.«
»Jetzt überraschst du mich«, erwiderte Burkhard. »Bis in die frühen Morgenstunden hast du dich mit dem Bischof beraten. Ihr müsst doch einen Plan entworfen haben!«
»Nein, das haben wir nicht. Der Bischof hat mir nur einige Informationen über Ida und ihren Onkel gegeben.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich habe das komische Gefühl, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht bei Philipp von Flandern, sondern bei seiner Nichte selbst liegt.«
»Ich habe schon mitbekommen, dass sie einen gewissen Ruf hat, aber miss ihrem Einfluss nicht zu viel Bedeutung zu. Letzten Endes entscheidet ihr Oheim über den Bewerber.«
»Du hast bestimmt Recht, aber damit du die Zusammenhänge begreifst, muss ich dir die Vorgeschichte erzählen.«
»Dann lass mal hören!«
»Seit dem Tod ihres Vaters wuchs Ida am Hof ihres Onkels auf und lernte früh die Sagen um Karl den Großen, Artus und andere Helden kennen. Irgendwann begann sie selber Schreiber auszuschicken, um Abschriften von den Epen anfertigen zu lassen. Sie sind ihr kostbarster Schatz. Ihre liebsten Stellen kann sie auswendig und trägt sie auf Hoffesten vor. Sie ist sehr an Literatur interessiert.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Warte noch! Mit der letzten Wahl ihres Oheims war Ida einverstanden, weil am Hof von Gerhard III. von Geldern ritterliche Kultur gepflegt wurde. Seine Schwester, die am Looner Hof Gräfin war, zeigte große literarische Aufgeschlossenheit und wurde Ida schnell zur Vertrauten. Nur einen Tagesritt benötigte man nach Loon, wo sich
oft Sänger und Gaukler einfanden. Wenn sich Gerhard aus dem Oberquartier nach Nijmwegen, Arnheim oder Zutphen begab, ritt sein Tross am Klever Hof vorbei, wo Ida mehrmals Heinrich von Veldeke begegnete. Als ihr Ehemann überraschend starb, nahm sie Abschied vom Gelderner Hof und kehrte zu ihrem Onkel zurück.«
»Wo sie jetzt immer noch ist.«
»Genau! Bei ihrem großen Interesse an Kultur befürchtet sie nichts mehr, als in die Hände eines unhöfischen Mannes zu gelangen, der sie nur aus politischen Erwägungen heiraten will. Hinzu kommt, dass in den Werken Chretiens deTroyes, dem Dichter der Artusromane, Ehen durch Neigung geschlossen werden. Dementsprechend hat sie ein Auge auf einen jungen Ritter geworfen, den sie von Kindesbeinen an kennt: Arnold von Guines ist der Mittelpunkt eines Kreises junger adeliger Leute, der sich häufig am Hof ihres Onkels aufhält. Sie nennen sich ›Lustige Gesellschaft‹, feiern rauschende Feste und versüßen sich die Zeit mit Spielen. Arnold soll Humor haben und geistreich sein. Mehrmals hat er um Idas Hand angehalten, aber Philipp von Flandern wies die Werbungen stets zurück, weil Arnold und seine Familie keinen politischen Einfluss haben. Wenn hingegen Philipp von Flandern ihr einen neuen Bewerber präsentiert, droht Ida, sich von der Turmburg zu stürzen, wenn er sie gegen ihren Willen verheiraten würde.«
»Das klingt nicht nach einer baldigen Einigung«, sagte Burkhard. »Philipp wird ein Machtwort sprechen müssen.«
Hartmann starrte seinen Freund an. Bis eben hatte er keine Ahnung gehabt, warum er ein Augenmerk auf Idas
Interesse an höfischer Kultur gelegt hatte. Burkhards Bemerkung brachte ihn auf eine Idee. Für Ida und ihren Onkel musste der Bräutigam unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Die junge Frau wünschte sich ein Umfeld, in dem sie nicht nur als Schachfigur benutzt wurde; sie wollte sich künstlerisch einbringen und als Mäzenin tätig werden. Philipp von Flandern strebte hingegen eine Hochzeit an, die ihm politische Vorteile verschaffte. Keiner der bisherigen Bewerber hatte beiden Ansprüchen genügen können, so dass keine Einigung erzielt worden war, aber das würde sich ändern.
Berthold IV von Zähringen war nicht nur reich, sondern sein Wort galt etwas im Kreis der Mächtigen. Zwar war der Herzog selbst kein Künstler, aber Hartmanns Lieder hatten sich längst über die Grenzen des Schwabenlandes verbreitet. Das Argument, womit er Ida für die Ehe gewinnen konnte, waren nicht die zahlreichen Geschenke, sondern er selbst. Seine Verskunst, sein Harfenspiel und sein untadeliger Ruf würden der jungen Frau zu Recht das Gefühl vermitteln, in eine höfische Welt einzuheiraten, wo sie ihre Interessen pflegen konnte.
»He«, rief Burkhard. »Wo rennst du hin?«
»Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren!«, rief Hartmann.
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