Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
nicht ein einziges Mal tun, was man von dir erwartet? Jetzt muss ich mir etwas Neues überlegen.« Mit voller Wucht rammte er ihr die Faust ins Gesicht.

2.
    Als Judith wieder zur Besinnung kam, war sie an einen Stuhl gefesselt. In ihrem Mund steckte ein Knebel, so dass sie nur ein Schnaufen hervorbringen konnte. Sie wollte sich losreißen, aber die Schnüre schnitten schmerzhaft in ihr Fleisch. Sie bog den Kopf in alle Richtungen und erkannte an der gewölbeartigen Decke, an den kunstvollen Kaminen und den mehrarmigen Kerzenständern, dass
sie sich im Bürgersaal befand. Am Kopf der Tafel saß der Stadtvogt mit seiner ledernen Haube und musterte sie mit kalten Augen. Links und rechts von ihm hatten die Beisitzer Platz genommen.
    August lief vor dem Blutgericht auf und ab und gestikulierte mit den Händen. »Ich hatte so furchtbare Angst, dass sie sich selbst ein Leid zufügen würde«, hörte sie ihn sagen. »Mir blieb gar nichts anderes übrig, als sie niederzuschlagen und zu knebeln. Ich musste es zu ihrem eigenen Schutze tun.«
    Fast brach er in Tränen aus, als er fortfuhr: »Lange Zeit wollte ich es nicht wahrhaben und verschloss die Augen vor den hässlichen Gerüchten. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass meine Ehefrau mich in so schamloser Weise betrog. Ach, wenn ich doch nicht so gutgläubig gewesen wäre, wenn ich doch nicht immer das Edle im Menschen gesucht hätte, würde der Spitalvorsteher von Wiehre noch leben. Ja, ich mag blind gegen ihre Verdorbenheit gewesen sein, aber den aufmerksamen Bürgern unserer Stadt blieb ihre Mannstollheit nicht verborgen. An jeder Straßenecke konnte man hören, dass sie Vater Lothar schon seit Jahren nachstellte und sich ihm wie eine Hure anbot, aber der fromme Geistliche wies ihre Annäherungen zurück und ließ sich nicht vom Pfad der Tugend abbringen. Als sie endlich begriff, dass ihre Verführungsversuche gescheitert waren, schwor sie sich, es dem Pfarrer heimzuzahlen. Mit eigenen Augen beobachtete ich, wie sie dem Backwerk eine Substanz beimengte. Als ich sie fragte, was sie da gerade getan hatte, verbarg sie ein kleines Tongefäß hinter ihrem Rücken und sagte nur, dass mich das nichts angehen würde...«

    Judith konnte kaum glauben, was sie hörte. Ihr Ehemann verdrehte die Wahrheit, wie es ihm passte. Warum glaubten die Beisitzer seinen Worten? Warum hörten sie ihm überhaupt zu? Warum legten sie diesen gemeinen Mörder nicht in Ketten? Allen Gerichtsherren hatte sie schon bei gesundheitlichen Problemen geholfen. Überall war ihr Wertschätzung entgegengebracht worden. Warum befreite man sie nicht von dem Knebel, damit sie sich verteidigen konnte? Warum galten ihre Verdienste nichts mehr, nur weil ihr Ehemann dreiste Lügen verbreitete?
    »... sosehr ich es mir auch wünschen würde«, sagte August da, »die Umstände lassen keinen anderen Schluss zu: Als erfahrene Kräuterfrau kannte sie alle giftigen Gewächse und wusste auch, welche Dosierung zum Tod führen würde. Jeden Sonntag buk sie für Vater Lothar einen Brotkuchen mit Rosinen und Walnüssen, was alle Bediensteten des Turmhauses bezeugen können. Jeden Sonntag brachte sie dem Geistlichen die Nascherei, was wiederum die Kirchdiener und Patienten bestätigen können. Sie hatte die Zeit und die Gelegenheit, dem Brotkuchen die giftigen Stoffe beizumengen, und wurde dabei von einem Augenzeugen beobachtet. Außerdem hatte sie ein Motiv: Aus enttäuschter Liebe wollte sie sich an dem gütigen Spitalvorsteher von Wiehre rächen. Die Beweislast ist erdrückend und entlarvt sie als gemeine Mörderin.«
    August schloss für einen Moment die Augen, um seine große Betroffenheit zu zeigen. Seufzend sog er Luft ein, als würde ihm sogar das Atmen Seelenpein verursachen. »Jetzt stehe ich vor euch und weiß nicht weiter. Ich erinnere mich an all die wunderbaren Tage, die ich mit meiner Ehefrau verlebte. VollerTatendrang kamen wir einst in
diese Stadt, in deren schützenden Mauern wir uns entfalten durften. Niemals hätte ich vermutet, dass diese mildtätige Frau zu einer solchen Tat imstande wäre. Ihr alle wisst, welche Verdienste sie sich erworben hat. Ihr alle wisst, wie aufopferungsvoll sie sich um die Kranken gekümmert hat. Ihr alle wisst, dass sie auch ein mitfühlendes Herz hat. Deshalb flehe ich euch um unserer alten Freundschaft willen an, lasst Gnade walten. Verbannt sie meinetwegen aus Freiburg, aber lasst ihr das Leben.«
    Eine Weile klang die Rede nach, dann hüstelte der Vogt verlegen und sprach:

Weitere Kostenlose Bücher