Der Minnesaenger
standen, aufmunterndes Kopfnicken. Schließlich legte er Agnes’ Hand auf seinen Unterarm und geleitete sie durch die Reihen der Gäste. Im Durchgang wurden sie von einem Knaben mit lockigem Haar mit einer Verbeugung begrüßt.
Agnes lehnte ihren Kopf an Dankwarts Schulter. »Ist das schön hier!«, flüsterte sie.
Der Steinboden leuchtete bunt; in allen Farben lagen getrocknete Blüten auf den Quadern. Zwischen den Marmorsäulen flackerte das Feuer in mehreren Kaminen. Es duftete nach fremden Gewürzen. Kostbare Gobelins hingen neben Wandteppichen aus Seidendamast, und weiße Tücher spannten sich über die Festtafel. Von irgendwoher erklang eine liebliche Melodie.
Der Knabe führte sie zum Kopf der Tafel, wo beide niederknieten.
»Mein treuer Dankwart, ehrwürdige Agnes«, sagte der Herzog. »Gott zuerst und danach sollt ihr mir willkommen sein.«
Beide erhoben sich wieder. Der Knabe geleitete sie den
Weg zurück, wo Werner von Schlatt und seine Gemahlin ihnen entgegenkamen, führte sie um die Tafel herum, die in Hufeisenform aufgestellt war, und bedeutete ihnen, sich auf den Sitzpolstern rechts neben Berthold niederzulassen.
Während Agnes das Begrüßungszeremoniell verfolgte, ordnete Dankwart seine Gedanken. In der Sitzordnung wurde Hierarchie sichtbar. Der Platz neben dem Herzog galt als besondere Gunstbezeugung und in seiner Brust rangen widerstreitende Gefühle: Unbehagen, weil er befürchtete, dass die Edelleute in ihrer Eitelkeit gekränkt sein könnten und - Stolz.
Nachdem sich die Festgesellschaft versammelt hatte, erhob sich der Herzog. Die Ausrichtung von Banketts und Hoffesten diente dazu, den Adel und die Dienstleute enger an den Herrscher zu binden. Obwohl Frieden geschlossen und der Bund mit dem Kaiser erneuert wurde, musste der Herzog um seinen Ruf als Kriegsherr fürchten. Da auch Reichtum Macht und Stärke repräsentierte, hatte er seinem Truchsess einen großen Etat für Geschenke bewilligt. So klatschte er in die Hände und rief: »Heute soll niemand mein Heim ohne eine Gabe verlassen.«
Knappen und Kämmerer trugen zahlreiche Bahren herein. Der Truchsess entrollte ein Pergament und las laut vor: »Zehn Stück Stampfart von Arras, Schmuckknöpfe aus Elfenbein, fünf Unzen weißer Perlen und einhundert Korallen. Helme aus Poitiers, Speereisen ausTroyes, Halsberge aus Chambly und Brustplatten aus Soissons, sechs Ellen griechischer Brokat...«
»Jeder soll bekommen«, unterbrach ihn der Herzog, »was seinem Herzen am nächsten steht.« Mit einem
Wink bedeutete er dem Truchsess, die Präsentation der Geschenke zu beenden. »Zweien unter euch will ich meine Gunst durch eine besondere Gefälligkeit erweisen. Sie sitzen heute zu meiner Linken und zu meiner Rechten. Es sind Werner von Schlatt und Dankwart von Aue. Ihnen verdanke ich es, dass ich bei Tübingen nicht in Gefangenschaft geriet. Deshalb sollen sie heute einen Wunsch äußern dürfen, den ich, was es auch immer sei, erfüllen werde.« Berthold richtete sich an die beiden Dienstmänner. »Bedenkt euch gut und zeigt keine falsche Scham. Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen und nun möchte ich euch meine Dankbarkeit zeigen.« Berthold wendete sich wieder der Festgesellschaft zu: »Und jetzt lasst die Krüge kreisen!«
Posaunenspieler und Trommler traten auf, so dass bald lauter Schall den Palassaal erfüllte. Ihr Spiel untermalte den Einzug der Speisemeister, die auf Silbertabletts gebratene Rebhühner, Trappen und Fasane und weiße Semmeln servierten. Der verlockende Geruch nach Safran und Galgantwurzel verbreitete sich. Während die Speisemeister vor den Tafeln niederknieten, um das Fleisch zu tranchieren, postierten sich im Rücken der Gäste Edelknappen, die Becken zum Händewaschen und Handtücher bereithielten.
Agnes nahm einen Schluck aus dem Krug und fragte: »Was wünscht du dir?«
»Ich muss erst nachdenken«, erwiderte Dankwart.
Die Gesellschaft tafelte stundenlang. Ein Tierstimmenimitator brachte die Gesellschaft zum Lachen; eine orientalische Akrobatin entlockte den Männern heisere Ausrufe. Endlich wurde zum Tanz aufgespielt. Nachdem der
Herzog einen Sprungtanz mit einer Haremsdame vollführt hatte, kehrte er atemlos an den Tisch zurück und sagte zu Dankwart: »Werner verzichtet. Er sagt, dass mein Wohlbefinden ihm Geschenk genug sei. Ich hoffe, dass er es nicht bereut, denn ich mache ein solches Angebot nicht zweimal. Also, nur Mut.«
»Herr«, sagte Dankwart, »ich habe meine Wahl getrof fen. Ich bitte
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