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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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fühlbar, schwach zwar, aber das Herz schlug noch. »Heinrich!«, schrie sie. »Leutfried! Kommt schnell her! Ihr müsst mir helfen!«

5.
    Drei Wochen später ritten Dankwart und Agnes auf den Burghof des Herzogs von Zähringen. Zahllose Pechfackeln erhellten die graue Wehrmauer, das Gesindehaus und die Kapelle. Ein Pferdeknecht eilte herbei und griff nach dem Zaumzeug. Agnes rutschte vom Pferderücken und reichte Dankwart den Arm hoch.
    »Lass es gut sein«, sagte der. »Ich muss es alleine schaffen!«
    Mühsam hob er ein Bein über den Rücken des Hengstes und setzte den Fuß ab. Als das Schlachtross scheute, verlor
Dankwart das Gleichgewicht - der andere Fuß klemmte noch im Steigbügel. Die Adern an Schläfen und Stirn traten deutlich hervor.
    Agnes wollte ihn stützen, aber Dankwart ließ es nicht zu. »Nein, hab ich gesagt!«
    »Der Herzog hat sich nach Euch erkundigt«, sagte der Pferdeknecht. »Er will Euch im Steinsaal empfangen. Den Palassaal sollt Ihr nicht betreten! Mit seinem Anblick will er Euch überraschen.«
    »Warum schenkt uns der Herzog so viel Beachtung?«, fragte Agnes.
    »Das erfahren wir noch früh genug«, erwiderte Dankwart und ordnete seine Tunika. Er winkelte seinen Unterarm an, damit Agnes ihre Hand darauf legen konnte. Zwei Freitreppen führten an der Vorderseite in den Palas, dicker roter Stoff verhängte die Portale. Dankwart humpelte los. Bei jedem Schritt straffte sich sein Hals. Im Tübinger Kerker hatte er fast die Hälfte seines Körpergewichts eingebüßt. Seine Kniegelenke waren dicker als die Schenkel, die Tunika flatterte lose um die knochigen Schultern. Wenn Agnes nach Einzelheiten der Gefangenschaft fragte, blieben seine Lippen verschlossen. Nicht etwa, weil er ihr etwas verschweigen wollte, sondern weil er sich bemühte, das Vergangene aus seinem Gedächtnis zu tilgen. Nichts sollte ihn daran erinnern, was im Kerker geschehen war.
    Zitternd schob er den Vorhang zur Seite und trat in den Steinsaal, den viele mehrarmige Kerzenständer in einen warmen Schein tauchten. Die Anwesenden hielten in ihren Gesprächen inne und musterten sie. Der Herzog von Zähringen stürzte aus der Menge hervor, blieb vor seinem Dienstmann stehen und betrachtete ihn erschrocken.
»Hauptsache, du lebst«, sagte er dann. »Alles andere kommt in Ordnung. Komm mit, die anderen sind schon da.« Der Herzog schob seinen Dienstmann in den Kreis der Krieger. »Seht, wer gekommen ist!«
    Nach der allgemeinen Begrüßung berichtete Berthold, wie die Lösegeldzahlung schließlich zur Befreiung der Gefangenen geführt hatte. Dankwart erblickte in einer Ecke Werner von Schlatt. Ohne auf die höfischen Regeln zu achten, humpelte er zu ihm hinüber. Die Gefangenschaft hatte auch den Gefährten gezeichnet. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, die Gesichtshaut glänzte wächsern.
    Nun, da Dankwart ihm gegenüberstand, wurde ihm bewusst, wie verbunden er sich dem Freund fühlte. Tag für Tag hatten sie den Grausamkeiten getrotzt und zueinander gehalten. Tag für Tag hatten sie sich gegenseitig Hoffnung gegeben. Sie mussten keine großen Worte machen. Zwischen ihnen herrschte ein stilles Einverständnis: Was ihnen die Zukunft auch bringen mochte - sie wussten, dass sie sich aufeinander verlassen konnten.
    DerTruchsess, der die Aufsicht über die Tafel führte und für die Einhaltung des Hofzeremoniells verantwortlich war, postierte sich neben dem Durchgang zum Palassaal, zog seinen Rock straff und schlug mit dem Stab auf den Steinboden. »Der Herzog von Zähringen und seine Gemahlin Heilwig bitten zur Tafel.« Bevor er fortfuhr, wartete der Zeremonienmeister, bis sich die Gefolgsleute gefunden hatten.
    Dankwart schleppte sich zu Agnes. »Deine Augen glühen ja!«, sagte er zu ihr. »Hast du dich amüsiert?«
    »Ohne Beerenwein halte ich es hier nicht aus!«, erwiderte Agnes. »Die Edeldamen starren mich an, als wäre
meine Anwesenheit eine Beleidigung. Sieh sie dir nur an - mit ihren Gürteln und Brustspangen, mit ihren Seidenkleidern und Perlenbändern. Sie plustern sich auf wie, wie...« Plötzlich lachte Agnes los. »Wie unser Hahn, wenn er auf den Misthaufen steigt.«
    DerTruchsess stieß den Stab erneut auf den Boden und rief: »Dankwart von Aue und seine Gemahlin, Agnes.«
    Der Dienstmann erschrak, und seine Überraschung grenzte an Bestürzung. Was hatte das zu bedeuten? Warum wurden sie zuerst aufgerufen? Er blickte sich im Steinsaal um und erntete von den Edelleuten, die hierarchisch weit über ihm

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