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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Stunde begriff sie, dass ihr Schoß versiegt war.

2.
    Der Eintritt in das Hauskloster Sankt Peter, das Aue am nächsten lag, oder in die Abtei Sankt Blasien musste dem sechsjährigen Hartmann aufgrund ihrer ständischen Exklusivität verwehrt bleiben. Nur Sankt Georgen, die dritte Zähringervogtei, war als Reformkloster nicht an den Adel gebunden. Für die Unterbringung des Knaben war alles Notwendige veranlasst worden.
    Am Tag der Abreise saß Dankwart am Tisch und beobachtete den Sohn.
    »Ohohoh!«, machte Hartmann gerade.
    Der Junge hatte von Agnes eine zweite Portion warmer Milch mit Honig verlangt und zu seiner großen Überraschung erhalten. Nun traten die Schwestern zur Tür herein und überreichten ihm bunte Bänder. Heinrich, der ältere Bruder, schenkte ihm einen selbst geschnitzten Adler aus Kirschholz. Judith vom Hasgelhof, seine Spielgefährtin, herzte und drückte ihn. Hartmann war stumm vor Glück und genoss es sichtlich, als Leutfried, der Knecht, ihm über den hellen Schopf strich.
    Der Junge hat ja keine Ahnung, dachte Dankwart. Er erhob
sich von seinem Schemel und nahm den Sohn bei der Hand. In den Augen aller lag ein unterschwelliger Vorwurf. Auf dem Weg nach draußen griff Agnes nach seinem Arm.
    »Warte!«
    Dankwart wusste, dass sein Weib große Seelenqualen ausstand. Einerseits wollte sie ihr jüngstes Kind nicht hergeben, andererseits wollte sie der Zukunft des Knaben nicht im Weg stehen. Der innere Konflikt war so stark, dass sie in den vergangenen Monaten immer wieder in Tränen ausgebrochen war und zahllose Streits angefangen hatte.
    »Glaub mir«, sagte Dankwart. »Es ist das Beste für ihn. Nur so kann er es zu etwas bringen.«
    »Das weiß ich ja, aber in dieser Jahreszeit sind die Gesetzlosen so brutal. Vielleicht solltet ihr warten, bis der Winter kommt. Ich will nicht, dass ihr überfallen werdet!«
    »Die Gefahr besteht auch im Winter!«
    »Ich verstehe nicht, warum du deinen Sohn einer solchen Gefahr aussetzen musst«, sagte Agnes aufbrausend. »Wie kannst du nur so verantwortungslos sein?«
    Dankwart wusste, dass sie vernünftigen Argumenten nicht zugänglich war. Es war vollkommen gleichgültig, was er erwiderte. Jede Entgegnung würde einen Gefühlsausbruch heraufbeschwören.
    Wortlos ging er auf den Hof, wo er die Zeltbahn, den Proviant und die Decke festgurtete. Mit einem Ächzen wuchtete er sich in den Sattel, streckte die Arme aus und hob den Sohn vor sich aufs Pferd. Wie leicht er noch ist!, dachte er verwundert.
    Agnes erschien in der Tür und wischte sich mit dem
Handrücken die Tränen aus den Augen. »Leb wohl, mein Kleiner. Leb wohl und bete für...« Als ihre Stimme brach und das Schluchzen sie überwältigte, verschwand sie in der Dunkelheit des Wohnraumes.
    Die anderen Familienmitglieder waren gefasster und stimmten in den Abschiedsgruß ein: »Leb wohl, Hartmann, und vergiss uns nicht.«
    »Lebt wohl, lebt wohl«, plapperte der Junge nach und lachte hell.
    »Kümmert euch um eure Mutter!«, rief Dankwart den Kindern zu und stieß dem Hengst die Sporen in die Flanken. Die Hunde folgten ihnen kläffend und sprangen an den Läufen hoch. Der Pfad schlängelte sich ins Tal hinab. Die Äste der umherstehenden Bäume spalteten das Sonnenlicht, und Hartmanns Hand schnellte immer wieder vor, um einzelne Strahlen zu fangen.
    Am anderen Ufer des Baches riss Dankwart an den Zügeln und brachte den Hengst zum Stehen. Drohend blickte er flussaufwärts. Nach seiner Rückkehr aus der Tübinger Gefangenschaft hatte er August den Älteren zur Rede gestellt und ihn für eine Weile zum Schweigen gebracht. Im Januar dieses Jahres war es jedoch zu einer Fortsetzung der Tübinger Fehde gekommen. Dankwart und sein Knecht waren wieder in die Schlacht gezogen. Während seiner Abwesenheit hatte August der Altere erneut versucht, die Bauern gegen ihn aufzustacheln.
    Wenn Worte nicht helfen, muss der Stahl entscheiden, dachte Dankwart. Er hatte lange mit sich gerungen. Von Rechts wegen standen dem freien Bauer keine Ansprüche auf das Amt des Dorfschulzen zu. Trotzdem durfte den Hörigen kein Zweifel entstehen, wer der Herr war. Nach dem Gotteskampf
würde der Unruhestifter schweigen - und zwar für immer. Dankwart gab dem Hengst die Sporen und preschte durch das Hexental. Dieser verfluchte Kerl, dieses verfluchte Dorf!, dachte er. Nirgends findet man Ruhe. Überall lauert der Ärger!
    Die Geschwindigkeit und der Wind kühlten sein Gemüt ab. Am Waldrand zügelte Dankwart den Hengst und setzte

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