Der Minnesaenger
nicht für mich, sondern für meinen zweitgeborenen Sohn Hartmann. Damit er nicht ohne Amt und Mittel dasteht, soll er die Sprache der Pfaffen lernen. Ermöglicht ihm eine Erziehung im Kloster, damit er des Lesens und Schreibens kundig wird und Euch eines Tages als Gelehrter dienen kann.«
»Nicht einmal ich kann den Griffel führen!«
»Ich auch nicht, Herr!«
»So, so, wir beide also nicht. An meinem Hof können nur der Kaplan und mein Truchsess schreiben. Ich nicht und du also auch nicht, was? Es sei dir gewährt. Alle sollen an deinem Glück teilhaben, alle sollen es erfahren.«
Berthold sprang auf das Sitzkissen und rief in die Menge, die ausgelassen einen Reigen tanzte und ihn gar nicht bemerkte: »Hört mir zu! Nun hört mir doch zu! Dankwarts Sohn soll ein Gelehrter werden!«
Dankwart blickte zu seiner Ehefrau hinüber. Er wusste, dass er keine Ruhe finden würde, wenn Agnes nicht einverstanden war. Seine Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. In ihren Augen war so viel Liebe, Wärme und Wertschätzung, wie er es lange nicht mehr gesehen hatte. Sie streckte ihre Hand aus und berührte seine Wange.
»Du bist der beste Mann, den ich mir wünschen kann«, sagte sie. »Ich bin sehr stolz auf dich!«
Im Jahre des Herrn 1166
1.
Zwei Jahre später träumte Agnes, dass sie über ein brachliegendes Feld wanderte. Die Erdschollen reihten sich ausgetrocknet und verkrustet aneinander. Am Horizont dieses Ödlandes tauchte Dankwart auf - zunächst klein wie eine Strohpuppe. Mit weit ausholenden Schritten näherte er sich und wuchs zu einem Riesen heran. Mahnend hob er die Hand und Agnes versank; sie versank zwischen ihren gespreizten Schenkeln. Plötzlich wusste sie: Das Ödland war ihr Schoß!
Agnes öffnete die Augen und setzte sich auf. Unter den Fußsohlen spürte sie den körnigen Lehmfußboden. Sie stützte den Kopf in die Hände und durchwühlte ihr Haar. Aufstöhnend erhob sie sich, öffnete die Verbindungstür und lauschte dem Atem der Kinder, die verschlungen unter den Fellen lagen. Sie schloss die Tür wieder und tappte zum Fenster, wo sie den Vorhang zurückschlug. Der Hof lag ruhig da. Über dem Palisadenwall reckten sich die Äste in den Sternenhimmel.
Ihre Kinder hatte sie in der aufsteigenden Phase des Mondes empfangen, wenn sich die Sichel langsam zu einer Scheibe füllte. Bei Vollmond plagten Agnes Schlaflosigkeit und unruhige Träume. Auch das Betonienkraut, dessen
Saft sie mit Wein einnahm, um die Zustände in den Griff zu bekommen, entfaltete seine beruhigende Wirkung nur, wenn der Mondschein durch Nebel oder eine dichte Wolkendecke gedämmt wurde.
Ein kalter Luftzug strich über ihren Körper. Ihre Brustwarzen richteten sich auf. Mit beiden Händen hob Agnes das weiche Fleisch an. Einst waren sie fest und straff, dachte sie. Vier Kinder haben sie genährt und nun sind sie welk. Sie strich über ihren Bauch. Er ist fast so rund, als würde ich ein Kind in mir tragen. Unsicher tastete ihre Hand nach dem Geschlecht; sie spürte die Berührung, aber sie weckte keine Lust.
Agnes setzte sich auf das Bett und betrachtete ihren Ehemann. Die Kirchenväter gestatten den Geschlechtsakt nur, um Nachkommen zu zeugen und so Gott zu preisen. Viele der Praktiken, die sie und Dankwart anwendeten, um ihre Lust zu steigern, waren im Bußkatalog mit hohen Strafen belegt. Wenn die Sünde Agnes zu sehr bedrängte, begleitete sie ihren Ehemann nach Freiburg, um sich im Münster in den Beichtstuhl zu begeben. Die Fastenzeiten, die ihr der Geistliche auferlegte, nahm sie mit Dankbarkeit auf; sie war froh, sühnen zu dürfen. Doch niemals hielten die Vorsätze, sich in Entsagung zu üben, lange vor. Manchmal glaubte sie sogar, dass es sie mehr nach Dankwart verlangte als umgekehrt.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, strich Agnes über sein helles Haar. Ihre Seelen berührten einander durch ein tiefes Gefühl, das schon vielen Herausforderungen getrotzt hatte. Sie wusste, dass Dankwart nicht zu den Männern zählte, die sich ihr Recht mit Gewalt nahmen. Deshalb hoffte sie umso mehr, dass er mit der Zeit verstehen
würde, dass es nicht an einem Mangel an Liebe lag, wenn ihre Schenkel fortan geschlossen blieben.
Plötzlich spürte sie die Kälte und schlüpfte unter die Decke. Agnes konnte nicht genau sagen, wie viele Sommer sie bereits erlebt hatte, aber sie wusste, dass andere Frauen in ihrem Alter noch Wollust empfanden, wenn sie sich ihrem Ehemann hingaben. Bei ihr war das anders. In dieser nächtlichen
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