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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schemel nahe dem Bett.
    »Sohn«, sagte sein Vater und spuckte eine sämige Flüssigkeit aus, die von gelben Brocken durchsetzt war. »Du darfst niemals vergessen, dass der Stuhl des Dorfschulzen uns gebührt. Hörst du, August? Uns - und nicht Dankwart.«
    Nicht weniger als in den Jahren zuvor hielt August der Jüngere seinen Vater für einen bemitleidenswerten Idioten. Alle seine Versuche, die Dorfleute gegen Dankwart aufzustacheln und den Herzog von Zähringen für sich einzunehmen, waren kläglich gescheitert.
    »Ich habe dich alles gelehrt!«, sagte der Vater und hustete seine Lunge frei. »Du musst dir das Amt einverleiben!« ja, ja, dachte August der Jüngere. Schwätz nur weiter! Ackerbau und Viehzucht hast du mich gelehrt! Das ist aber auch schon alles!
    »Du musst mein Andenken hochhalten!«, flehte der Vater. »Du musst vollenden, was ich einst begonnen habe.«
    »Natürlich!«, sagte August der Jüngere und dachte nur: Dein weibisches Gezeter hat uns nur zum Gespött gemacht. Zweimal kam Dankwart in unser Haus und forderte dich zum Gotteskampf heraus. Zweimal hättest du ihn töten können, aber du hast dich verleugnen lassen wie ein elender Feigling. Plötzlich stand er auf und beugte sich über den Vater, dessen Augen
in eine trostlose Leere starrten. Mehrmals stieß er ihn mit dem Zeigefinger an, aber der Alte rührte sich nicht mehr. »Mutter«, sagte er. »Ich glaube, er ist tot.«
    Die Mutter hatte an der Feuerstelle gesessen und gestickt. Nun legte sie die Tamburine auf den Boden, näherte sich dem Bett und blickte auf ihren verstorbenen Ehemann. Wortlos schloss sie ihm die Lider und begab sich wieder zur Feuerstelle, wo sie ihre Stickarbeit fortsetzte.
    »Am besten bringe ich ihn raus!«, sagte August und lud sich den Leichnam auf die Schultern. Im Schuppen warf er die sterblichen Überreste auf den Boden. Als er seinen Vater so verrenkt daliegen sah, fragte er sich, ob es wohl angebracht wäre, ein Gebet zu sprechen. Er kramte in seinem Gedächtnis nach ein paar passenden Versen, aber ihm wollte nichts einfallen. Im Grunde war es auch nicht wichtig. Bei der Bestattung würde noch genügend Zeit zum Beten bleiben.
    Gemächlich schlenderte er zurück zum Haus, das nun ihm gehörte. Er war jetzt der reichste Mann in Aue. Niemand konnte ihm mehr sagen, was er tun oder lassen sollte. Der Dorfschulze und seine hochnäsige Sippe würden schon bald zu spüren bekommen, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt war als sein Vater.

3.
    Drei volle Tage wanderte Hartmann durch die Wälder, bis er endlich den richtigen Weg ins Hexental gefunden hatte. Mit großen Schritten lief er den Pfad hinauf und blieb im offenen Tor stehen. Er erkannte die Hütte Leutfrieds und den Kornspeicher wieder. Vor dem Bruchsteinhaus
saßen mehrere Menschen. Einer der Männer erhob sich und winkte ihn heran. Obwohl seine Beine zitterten, setzte Hartmann einen Fuß vor den anderen. Der Mann griff nach dem flachen Gegenstand, der ihm an einer Sehne um den Hals hing.
    »Ein Holzadler!«, sagte er überrascht. »Ein Holzadler aus Kirschholz! Bist du das, Bruder?«
    Der Moment überwältigte Hartmann. Endlich war er in Aue, endlich war er heimgekehrt. Vor Glück und Erleichterung schossen ihm die Tränen in die Augen.
    Heinrich legte ihm den Arm um die Schulter und rief: »Seht nur, wer gekommen ist!«
    Die Mutter sprang auf, stürzte ihm entgegen und umarmte ihn. Lange hielt und wiegte sie ihn, bis sie auf Armeslänge von ihm abrückte. Mit der Hand fuhr sie durch sein Haar, strich mit den Fingern die Linien seines Gesichts nach. Ihre Stimme bebte vor Zärtlichkeit, als sie sagte: »Das helle Haar und die blauen Augen! Du siehst aus wie dein Vater!«
    Sie führte ihn ans andere Ende der Bank. »Dankwart, dein Sohn ist heimgekehrt. Willst du ihn nicht willkommen heißen?«
    »Herr!«, sagte Hartmann schüchtern und verbeugte sich.
    »Es ist gut«, erwiderte Dankwart, »dass wir uns unter den Lebenden wiedersehen.«
    Die Augen des Vaters hielten ihn auf Abstand. Offenbar wollte er nicht, dass jemand ihm zu nahe kam.
    »Hast du Hunger?«, fragte die Mutter. »Du musst doch Hunger haben! Beatrix, hol einen Schemel aus dem Haus! Heinrich, geh zum Vorratsstall. Bring uns einen Schlauch
mit Wein, Brot und einen Topf mit Honig! Und du, Leutfried, schaff Brennholz herbei. Wir wollen ein Feuer entzünden. Es wird bald dunkel und ich will meinen Sohn sehen - die ganze Nacht lang.«
    Seine Mutter verbreitete eine große Herzenswärme und

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