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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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schloss, drang aus der Kapelle die flehentliche Stimme des Pfaffen: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti....«
    »Nimm es dir nicht zu Herzen«, sagte Judith. »Dein Zwischenruf hat unserem Pfaffen nur dazu gedient, seinen geliebten Märtyrern nachzueifern. Hast du ihn nicht gehört? Dieses inbrünstige Verzeiht mir! war doch wirklich zu komisch!«

    »Das stimmt wohl!«, sagte Hartmann und lächelte. Durch Judiths Worte fühlte er sich leichter ums Herz. Überhaupt übte ihre Gegenwart einen besänftigenden Einfluss auf ihn aus. Vielleicht lag es an dem Tonfall ihrer Stimme, vielleicht an ihrem verständnisvollen Blick. Ihrer ganzen Erscheinung haftete etwas Tröstliches an, dem er sich nicht entziehen konnte.
    Als sie den Abhang hinunterschlenderten, strich ein kühler Ostwind über ihre Gesichter. Der Mond ging auf und am Firmament funkelten Sterne. Am Bach wiegte sich das Schilfgras im Wind. Auf einem Trampelpfad bogen sie nach rechts ab und begaben sich an den Aufstieg zum Hasgelhof.
    »Wie ist die Welt da draußen?«, fragte Judith. »Ich begleite Vater nur ab und zu auf den Markt nach Freiburg.«
    »Ich weiß es auch nicht«, erwiderte Hartmann. »Wir leben hinter Klostermauern. Unsere Welt ist der Geist. Nur an Sonntagen passieren wir das äußere Tor, um Spaziergänge zu unternehmen. Und da sieht es nicht anders aus als hier.«
    »Schade!«, sagte das Mädchen.
    Dem Knaben tat es leid, dass ihm nichts Interessantes eingefallen war. Angestrengt dachte er nach, womit er ihr eine Freude bereiten konnte, und hatte plötzlich eine Idee. »Ich habe mit einem alten Harfenspieler Freundschaft geschlossen«, sagte er. »Mehrmals im Jahr nächtigt er bei uns im Gästehaus. Er hat mir ein sehr schönes Lied beigebracht. Wenn du möchtest, singe ich es dir vor.«
    Mittlerweile standen sie vor derTür des Hasgelhofs. Der angrenzende Wald, die Gatter und Stallungen waren in einen sanften Schein gehüllt.

    Das Mädchen bedachte ihn mit einem wunderschönen Lächeln. »Ich möchte die Eltern nicht wecken, aber ein anderes Mal höre ich mir dein Lied gerne an.«

5.
    Einige Tage später, am Ostersonntag, stand Judith vor ihrem Elternhaus und stieß Lockrufe aus. Aus ihrer Schürze nahm sie eine Handvoll Gerstenkörner und warf sie den Hühnern vor. Nachdem sie die Fütterung beendet hatte, stemmte sie die Hände in den Rücken und ließ den Blick über das Tal schweifen. Die Wolkenschatten wanderten über den Heimgarten, den Bachlauf und die Adlerburg, die auf der anderen Seite des Hexentals lag. Einige Schwalben segelten im Wind.
    Lächelnd erinnerte sich Judith an die Werbeversuche des Pfaffen Lampert. Keine Gelegenheit hatte er ausgelassen, um Reisenden und Dorfleuten zu erzählen, dass er nach der Osterpredigt den Ehefrauen die Möglichkeit bieten wolle, sich durch Spenden an die Mutter Kirche von der Höllenschuld freizukaufen. So einfallsreich wie er ist, dachte Judith, zieht er uns noch die letzte Münze aus der Tasche.
    Knarrend öffnete sich die Holztür. Die Mutter kehrte Dreck und Essensreste auf den Vorplatz. Der Hund lief herbei, klaubte einen abgenagten Knochen aus dem Kehricht und sprang in großen Sätzen davon. Als die Mutter den Reisigbesen an die Hauswand lehnte, ging Judith hinüber und deutete auf die Sonne, die sich bereits über den Bergrücken schob.
    »Wenn wir noch baden wollen«, sagte das Mädchen, »sollten wir aufbrechen.«

    »Ja«, erwiderte Mechthild und rieb sich den Hinterkopf. »Beim Gottesdienst werden sich alle einfinden, die Rang und Namen haben.«
    Mutter und Tochter gingen den Abhang hinunter. Bei der Trauerweide zogen sie sich aus und stapelten ihre Kleider zu einem Haufen. Flussaufwärts ertönten die Rufe von anderen Badenden. Prüfend tauchte Judith die Zehen ins Wasser. Es war so kalt, dass sie am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. Sie wollte das Bad schnell hinter sich bringen und drängte mit klappernden Zähnen zur Bachmitte vor, wo sie einmal mit dem Kopf untertauchte. Mit den Händen schrubbte sie zwischen ihren Beinen und unter den Achseln. Jedes Mal, wenn die glitschigen Fische ihren Bauch streiften, zuckte sie zusammen. Schnell kletterte sie wieder hinaus, setzte sich zähneklappernd ins Gras und wrang die Haare aus.
    »Ich habe schon den ganzen Tag Kopfschmerzen!«, sagte die Mutter.
    »Leg deinen Kopf nur in meinen Schoß«, erwiderte Judith.
    Irgendwann - ohne ersichtlichen Grund - hatte es angefangen, dass Verwandte und Freunde sie um Hilfe gebeten

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