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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich die Melodie ins Gedächtnis und begann leise mit der ersten Strophe: »Es stand eine Frau alleine / Und spähte über die Heide / Und spähte aus nach ihrem Geliebten. / Da sah sie einen Falken fliegen. / Wohl dir, Falke, dass du so bist! / Du fliegst, wohin dir lieb ist, / du suchst dir im Wald / einen Baum, der dir gefällt. / So habe auch ich es getan: / Ich suchte mir selbst einen Mann, / den erwählten meine Augen. / Das neiden mir schöne Damen. / Ach, warum lassen sie mir meinen Geliebten nicht?...« I
    Am Ende blieb Hartmann bewegungslos liegen. Nervös lauschte er auf den trommelnden Regen. Warum sagte sie nichts? Warum lag sie einfach nur da und starrte an die Decke? Als er seine Ungeduld nicht länger zähmen konnte, platzte er heraus: »Hat dir das Lied nicht gefallen? Oder habe ich die Töne nicht getroffen?«
    »Beruhige dich«, erwiderte Judith lächelnd und drehte sich auf die Seite. Den Kopf stützte sie auf der Hand ab.
»Ich habe nur über den Text nachgedacht. Ich frage mich die ganze Zeit, ob die Frau so allein ist, weil sie sich ohne Zustimmung der Mutter einen Ehemann wählte?«
    Hartmann war erleichtert. »Das kann schon sein. Scheinbar hat sie sich in ihrer Wahl von niemanden beeinflussen lassen, auch nicht von ihren Eltern.«
    »Sie war frei wie ein Falke!«, flüsterte das Mädchen.

10.
    Unterdessen sprang der Pfaffe Lampert in den Bach. Auf mageren Beinen kämpfte er sich durch den Strom und zog sich an der Böschung hoch. »Bärenhöhle«, kicherte er, »Bärenhöhle, ich komme!«
    Am Ufer rannte er flussabwärts. An einem verkrüppelten Baum bog er nach links ab und erklomm die Steigung. Rinnsale stürzten den Hang hinab. Ein Ast schlug ihm ins Gesicht und sein Messgewand verhedderte sich in Disteln. »Kruzifix nochmal«, fluchte der Prediger, wischte sich den Schweiß von der Stirn und kletterte weiter.
    Vor der Bärenhöhle stand eine mächtige Eiche, deren Wurzeln den Grund so vereinnahmten, dass sich nicht einmal Büsche ansiedeln konnten. An dem bemoosten Stamm legte der Pfaffe Lampert eine Pause ein und führte Selbstgespräche: »Ich muss vorsichtiger sein. Niemals wieder darf ich bei Tageslicht herkommen. Welcher Teufel hat mich nur geritten? Jemand hätte mich sehen können. Jemand hätte mir folgen können. Jetzt muss ich warten, bis es dunkel wird.«
    Die Wolkendecke riss allmählich auf. Nur vereinzelt fielen noch Tropfen und aus den Bäumen klang das Lied der
Finken. »Kruzifix nochmal«, sagte der Pfaffe erneut, »was für eine Sturmgewalt!« Das nasse, verschmutzte Messgewand hängte er über einen Ast. Nur mit den Rindslederschuhen bekleidet sprang er auf der Stelle, um sich aufzuwärmen. »Hopp, hopp, hopp! Wenn die braven Bauern mich so sehen könnten«, sagte er kichernd.
    Nachdem er sich ausgiebig über Arme, Brust und Beine gerieben hatte, unternahm er von der Eiche zehn lange Schritte in Richtung einer Birke und ging in die Knie. Mit beiden Händen schob er Astwerk und Blätter beiseite und türmte lockere Erde zu einem Haufen auf.
    Im Unterholz knackte ein Zweig. Lampert hob den Kopf und hockte sich geistesgegenwärtig über das Erdloch, als würde er seine Notdurft verrichten. »Bei Jesus, Maria und Josef! August, musst du mich so erschrecken? Warum bist du mir gefolgt. Was willst du überhaupt?«

11.
    Für Judith verstrich die Zeit viel zu schnell. Hartmann beantwortete nicht nur alle ihre Fragen, sondern berichtete auch sehr anschaulich von dem Schulmeister, Jean de Reims, von seinem Freund Ulrich und dem Klosteralltag. Wenn die Jungmänner aus Aue den Mund auftaten, schnitten sie immer nur mit Heldentaten auf, die sie bestenfalls langweilten. Hartmanns Erzählungen eröffneten ihr eine völlig neue Welt. Sein Horizont reichte weit über die dörflichen Angelegenheiten hinaus. Er setzte seine Gaben nicht nur ein, um seinen Hunger und Durst zu stillen, sondern befasste sich mit Schriftzeichen, Musik und der Schöpfungsgeschichte. Um den Schilderungen folgen zu
können, musste sie sich zwar sehr konzentrieren, aber zur Belohnung beschritt ihr Denken immer neue und aufregende Wege. Zu gerne hätte sie noch mehr von den lateinischen Wörtern gelernt, deren Bedeutung und Aussprache er ihr mit viel Geduld beigebracht hatte, zu gerne wüsste sie noch mehr über die Kalligrafie, aber nach und nach bekam sie ein mulmiges Gefühl, das sich schließlich in einer einzigen Frage festsetzte: Was würde Mutter wohl denken, wenn sie uns so sehen konnte?
    »... im vierten

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