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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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hinter den Altar, bückte sich und hob ein silbernes Kästchen auf.
    »An diesen Ort habe ich eine heilbringende Reliquie gebracht, die schon Wunderzeichen in der ganzen Welt bewirkte. Es ist ein Stoffstück vom Kleid der Jungfrau Maria, das sie trug, während sie mit Gottes Sohn schwanger ging.« Lampert öffnete den Deckel und trug das Kästchen durch die Reihen. Im Inneren erblickte Hartmann einen dreckigen Leinenfetzen. Einem Knaben, der danach greifen wollte, schlug der Prediger auf die Finger und zischte: »Du Rotzlöffel!«
    Wieder vor dem Altar rief er: »Heute sollt ihr Zeugen eines Wunders werden. Ja, ihr habt richtig gehört. An diesem geweihten Platz wird sich ein Wunder zutragen. Diese
Reliquie in den Händen eines Geistlichen erlaubt es ihm, jene Frauen, die neben ihrem Ehemann niemals einen Geliebten nahmen, von jenen zu unterscheiden, die gegen das Gebot Gottes verstießen und sich versündigten.« Lampert stieß seinen Zeigefinger gegen die Gemeinde. Drohend fuhr er mit ihm durch die Reihen, auf einzelne Frauen zeigte er länger, wobei ihm eine hysterische Röte ins Gesicht stieg: »Den Sünderinnen unter euch befehle ich - hört ihr, ich befehle es ihnen - ganz still sitzen zu bleiben und im Geiste Buße zu tun. Sie sollen es nicht wagen, ein falsches Zeugnis abzulegen und nach vorne zu treten.«
    Verzweifelt richtete Lampert den Blick gegen das löchrige Schieferdach. Einzelne Lichtstrahlen fielen in das Innere der Kapelle. Lampert nickte ergeben. Sein Rücken krümmte sich in Demut, und es schien, als würde ihm der Allmächtige letzte Anweisungen erteilen. Lampert wendete sich wieder der Gemeinde zu und zeigte seine leeren Hände. »Alleine bin ich machtlos. Deshalb bitte ich die reinen Frauen unter euch, ja, ich flehe sie geradezu an, bringt dem Opferstock unbefleckte Spenden dar, damit das Strafgericht Gottes uns alle verschont.«
    Ein kahler Landedelmann aus Ambringen zog ein Silberstück aus seinem Beutel und gab es seinem Eheweib. »Worauf wartest du noch? Steh endlich auf!« Unter dem gnadenlosen Blick der Gemeinde erhob sich die junge, hübsche Frau und stolperte vor den Pfaffen hin, der seinen Messgesang kurz unterbrach, um sie genau zu mustern. Mit spitzen Fingern fasste er nach ihrem Kinn und schob ihren Kopf mal nach links, mal nach rechts und mal nach unten. Mit einem ernsten Nicken bedeutete er ihr,
dass ihre Spende willkommen war; mit einem weiteren Nicken versicherte er dem Landedelmann, dass sie an Leib und Seele rein war.
    »Ein Wunder!«, rief die Witwe aus der hinteren Reihe. »Ihr habt es selbst gesehen! Ein Wunder ist geschehen!«
    Nun hielt August, der freie Bauer, ein Goldstück hoch, um allen seine Großzügigkeit zu zeigen, und reichte es seiner Mutter. In einem scharlachroten Gewand bewegte sie sich zum Altar. Als die Münze im Opferstock klingelte, war allen klar, dass sie August dem Älteren zu dessen Lebzeiten treu gewesen war und auch jetzt ein keusches Leben führte. Ein Raunen ging durch die Reihen. Die Witwen sahen sich plötzlich unter Zugzwang gesetzt. Die Ehemänner warfen ihren Frauen argwöhnische Blicke zu. Jedes Zögern konnte ihre Treue infrage stellen. Die Jungfrauen meinten, dass es zumindest nichts schaden könne, wenn sie durch eine unbefleckte Spende ihre Unberührtheit bekundeten...
    Durch das unablässige Klingeln im Opferstock schwang sich der Messgesang des Predigers in immer höhere Höhen. Als er schließlich ein »Halleluja« anstimmte, liefen ihm Tränen der Rührung über die Wangen. »Gott liebt euch«, rief er. »Gott liebt auch mich. Ja, Gott liebt uns alle!« Der Pfaffe Lampert konnte ja nicht ahnen, dass seine Freude nur von kurzer Dauer sein würde.

7.
    August führte seine Mutter aus der Kapelle und raunte ihr zu: »Geh nach Hause!« Sogleich huschte sie mit über das Gras schleifender Schleppe den Abhang hinunter. Zum
Pfingstfest will ich sie noch prächtiger kleiden, dachte August. Auch Geschmeide will ich ihr kaufen. Alle sollen sehen, wie gut sie es bei mir hat.
    Seine Spießgesellen umringten ihn wie ein RudelWölfe. Alle trugen Waffen: Dolche, kleine Beile, mit Eisen besetzte Schlagstöcke und sogar Schwerter in Lederscheiden. Narben verunstalteten ihre bärtigen Gesichter. Die struppigen Haare wuchsen bis zu den Schultern, was eigentlich als Vorrecht der Edelleute galt, aber sie scherten sich nicht um Vorschriften. Einer hob einen Stein auf und schleuderte ihn auf einen Welpen, der winselnd das Weite suchte.
    »Spinnst du?«,

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