Der Minnesaenger
sagte August. »Das kannst du vielleicht in Freiburg machen, aber nicht hier. Ich habe einen Ruf zu verlieren.«
»Was machen wir jetzt, August?«, fragte ein anderer.
Der freie Bauer wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Mechthild vom Hasgelhof im Portal erschien. In ihrem ärmlichen Gewand unterschied sie sich von den anderen Bäuerinnen nur durch ihre hochmütige Miene, trotzdem verbeugte sich August galant. Er spürte, dass sein Plan so langsam aufging.
»Lass uns in die Stadt reiten«, sagte ein Dritter.
»Ja, lass uns ins Bordell gehen«, brüllte der Steinewerfer. »Der Gerber hat gestern beim Würfelspiel sein Weib verloren. Sie ist noch ganz frisch. Wir wollen sie nageln, bevor sie so schlüpfrig wie ein nasser Handschuh ist. Hahaha...«
August nahm sich vor, ihm bei der nächsten Gelegenheit Manieren beizubringen, aber er vergaß seinen Vorsatz wieder, als Judith vom Hasgelhof hinter ihrer Mutter erschien. Ihr langer Hals, ihr Blick aus sanften Bernsteinaugen
und die schlanken Gliedmaßen waren von einer solchen Anmut, dass es ihn juckte, dieses junge und unerfahrene Ding einzureiten. Die Vorstellung, dass er mit ihr all die Dinge tun würde, die er auch mit den Huren in Freiburg anstellte, erregte ihn gewaltig.
»Seht nur«, rief ein Spießgeselle. »Der Prediger macht sich aus dem Staub!«
Die Erwähnung des Pfaffen Lampert lenkte Augusts Denken in eine andere Richtung. Mit starrem Blick beobachtete er, wie der Prediger die Stufen der Kapelle hinuntereilte, sich hektisch nach allen Seiten umblickte und mit flatterndem Messgewand das Weite suchte. Ein braunes, prallgefülltes Säckel hielt er schützend vor die Brust gedrückt.
»Was ist nun, August?«, fragte ein anderer.
»Reitet schon vor«, sagte der freie Bauer. »Ich hab noch etwas zu erledigen.«
8.
Nach dem Gottesdienst standen die Leute in Grüppchen vor der Kapelle. Mechthild gesellte sich zu Agnes und fragte: »Wo ist eigentlich Dankwart?«
Agnes blickte in die Ferne. Heute Morgen war ihr Ehemann unauffindbar gewesen. Außer ihm fehlten der Knecht, das Schlachtross und der Ackergaul. Agnes hatte nichts dagegen, wenn Dankwart seine Reiselust stillte. Nur sein wortloses Verschwinden bereitete ihr jedes Mal Kummer.
»Schon gut - ich kann es mir denken«, sagte Mechthild. »Ist dir eigentlich aufgefallen, dass Kunos Ehefrau
nichts in den Opferstock gegeben hat? Sie muss sich versündigt haben - anders kann ich mir ihr Verhalten nicht erklären.«
»Die beiden sind arm«, erwiderte Agnes. »Im Winter verhungerte ihr Jüngster, weil die Vorräte aufgebraucht waren. Alles, was sie haben, wandert von der Hand in den Mund. Wahrscheinlich konnten sie nichts erübrigen.«
»Wie es wirklich ist, werden wir wohl nie erfahren«, sagte Mechthild seufzend und strich der Tochter das Wollkleid glatt, damit ihre schöne Gestalt besser zur Geltung kam. »Als der Pfaffe Lampert mit dem Kästchen durch die Reihen ging, hätte ich das Stück Leinen zu gerne berührt. Wenn ich mir vorstelle, dass es tatsächlich von der Jungfrau Maria stammt, wird mir ganz anders zumute.«
»Zu jedem Herrenfest präsentiert uns der Pfaffe eine neue wundertätige Reliquie«, erwiderte Agnes. »Beim vergangenen Osterfest brachte er uns einen Brocken Brot von der Speisung der Fünftausend. Zum Pfingstfest zeigte er uns Fragmente vom Jerusalemer Stadttor. Und Weihnachten war es sogar ein Stückchen Vorhaut vom Jesuskind. Wie kann ein Dorfpfaffe so viele heilige Gegenstände beschaffen?«
»Im Heimgarten erzählt er den Leuten, dass er allen Pilgern aufträgt, die Reliquien mitzubringen.«
»Und das glaubst du? Ich hab noch nie einen Pilger getroffen, der durch Aue ins Heilige Land gereist ist.«
»Aber hör dich doch um. Alle lobpreisen ihn als heilbringenden Prediger. Heute war sogar ein Landedelmann aus Ambringen da.«
»Die Leute lobpreisen ihn, weil sie sich hinter seiner Schlitzohrigkeit verstecken können.«
»Meine Güte - was ist heute nur los mit dir? Wenn du jetzt noch davon anfängst, dass du den freien Bauern für einen Lumpen hältst, stelle ich mich am besten gleich woandershin. Ist dir nicht aufgefallen, wie höfisch er sich vor mir verbeugt hat? Er behandelt mich, als wäre ich eine Dame.«
Agnes wusste, dass Mechthild alles dransetzte, um ihre Tochter mit einem wohlhabenden Mann zu verheiraten. Vor einigen Tagen hatte sie die Freundin daran erinnert, welche Intrigen August der Altere gesponnen hatte, um sich das Amt des Dorfschulzen
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