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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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passiert!«
    Völlig aufgelöst berichtete die Witwe, dass der Prediger seit dem Ostersonntag verschwunden war. Dankwart wusste, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Er konnte die Frau beruhigen und versicherte ihr, dass er Nachforschungen anstellen würde.
    Am darauffolgenden Nachmittag inspizierte er die Hütte des Predigers: Im Herd war noch Asche. Ein halber in ein Tuch gewickelter Laib Roggenbrot schimmelte vor sich hin. In der Truhe befand sich ein Satz Beinlinge, außerdem fingerlange Eisennägel und frisch geschnitzte Holzschuhe. Wenn der Pfaffe Lampert tatsächlich länger verreist wäre, hätte er die Gegenstände in einem sicheren Versteck deponiert. Nein, der Zustand der Hütte erweckte den Eindruck, als wäre der Prediger nur kurz nach draußen gegangen, um jeden Moment zurückzukehren. Die Sorge der Witwe war berechtigt!
    Nach seiner Rückkehr schickte Dankwart die Söhne aus.

13.
    Hartmann suchte den Hasgelhof ganz zuletzt auf. Sein Magen fühlte sich flau an, als er die flache Hand ausstreckte und mehrmals gegen die Tür schlug. Mechthild öffnete sie einen Spaltbreit und blickte zuerst auf die Wolken, dann auf den Regen und schließlich auf den Knaben.

    »Komm rein!«, sagte sie und schloss die Tür wieder. »Du bist ja ganz durchnässt. Hier, trockne dir erst mal die Haare ab!«
    »Mein Vater schickt mich«, sagte der Knabe und rubbelte sich über den hellen Schopf. »Er will, dass ihr in die Kapelle kommt. Der Pfaffe Lampert wurde seit vier Monden nicht mehr gesehen.«
    »Der Prediger ist verschwunden? Das gibt es doch nicht!«
    »Der Witwe ist es zuerst aufgefallen! Sie hat meinen Vater alarmiert.«
    »Natürlich!«, sagte Mechthild. »Jetzt verstehe ich! Gott straft uns mit diesem Unwetter, weil uns der Hirte fehlt. Gedulde dich einen Augenblick. Wir werden dich begleiten.«
    Erst jetzt richtete Hartmann den Blick auf Judith. »Kommst du auch mit?«
    Das Mädchen hockte im Schneidersitz vor dem Ofen und schnitzte mit einem Schieferstein an einer Holzfigur. Das braune Haar hatte sie hinter die Ohren geklemmt. In ihren Augen spiegelten sich die brennenden Holzscheite wider. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Lippen standen einen Spaltbreit auf, so dass ihre Zähne durchschimmerten. Der kapuzenlose Wollumhang gestattete einen Blick auf ihren langen Hals und den zarten Nacken. »Ich habe den Pfaffen seit der Osterpredigt nicht mehr gesehen«, murmelte sie. »Ich kann bei der Suche nicht helfen.«
    Hartmann wollte das Mädchen ermuntern, seine Meinung zu ändern. Die Befragung der Bauern würde sicher spannend werden. Wenn sein Freund Ulrich einen Anstoß
brauchte, fielen ihm immer die passenden Worte ein, aber in Gegenwart des Mädchens fühlte er sich befangen. Seitdem er das Lied vorgetragen hatte, quälte ihn der Verdacht, dass ihm im Heuschober wieder ein Missgeschick unterlaufen war. Zwar wusste er nicht genau, welchen Fehler er begangen hatte, aber anders konnte er sich ihr Davonrennen nicht erklären. Jetzt befürchtete er, erneut etwas Unpassendes zu sagen und so in der Gunst des Mädchens noch weiter zu sinken. Mit krauser Stirn stand er im Wohnraum und kaute auf der Unterlippe. Was konnte er nur tun, um ihre Vorbehalte zu zerstreuen und sich in einem besseren Licht darzustellen?
    »Was ist denn in euch gefahren?«, fragte Mechthild. »Ihr seht ja aus, als wärt ihr dem Gehörnten begegnet. Und was dich angeht, mein Täubchen. Du kommst selbstverständlich mit. Ich dulde keine Widerrede.«

14.
    Gehorsam fegte Judith die Holzspäne von der Schürze, erhob sich vom Lehmfußboden und trat durch die offene Tür nach draußen. Kalter Schlamm zwängte sich zwischen ihre nackten Zehen. Der Wind heulte um die Hausecke und wirbelte ihr Haar durcheinander. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Hartmann ihr nacheilte und eine Wolldecke über sie hielt, um sie vor dem Regen zu schützen. Judith wollte ihm danken, aber sie brachte keinenTon heraus. Schüchtern senkte sie den Kopf.
    Weil die meisten Arbeiten bei diesem Wetter ruhen mussten, hatte sie in der vergangenen Woche genügend Zeit, um die zurückliegenden Geschehnisse zu verarbeiten.
Ihr Fühlen und ihr Denken schlugen dabei immer neue Pfade ein, die den Horizont ihrer kindlichen Welt verschoben, was sie gleichermaßen mit Spannung und Furcht erfüllte.
    So fragte sie sich beispielsweise, ob es einen Grund gab, warum Hartmann ihr ausgerechnet dieses Lied vorgetragen hatte? Hatte er möglicherweise gewusst, dass ihre Mutter nach

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