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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Strafpredigt gerechnet, aber ein solches Angebot hatte er nicht für möglich gehalten. »Vater«, sagte er, »für das Wissen, das Ihr mir vermittelt habt, bin ich Euch sehr dankbar, aber ich möchte hier nicht bleiben. Wenn Ihr dem Abt einen Zögling vorschlagen müsst, so nennt ihm Ulrich Namen. Niemand erscheint mir geeigneter zu sein.«
    »Das verstehe ich nicht! Du bist an das geistliche Leben gewöhnt! Was willst du denn da draußen anfangen?«
    »Fast alle Zöglinge verlassen die Abtei und kommen zurecht. Was mir noch fehlt, kann ich lernen. Ich habe das Wissen und den Verstand, um mich durchzubringen. Mein Entschluss steht fest.«
    »Soweit ich weiß, bist du der zweitgeborene Sohn eines unfreien Lehnsnehmers. Dein Bruder erbt den Hausherrenstuhl. Willst du als Bauer deine Geistesgaben verschwenden?«
    »Nein, ich möchte an einem Fürstenhof dienen. Ich bin mir sicher, dass ich dort besser aufgehoben bin.«

    »Jetzt verstehe ich, warum du im vergangenen Jahr so fleißig warst«, sagte Jean de Reims und drehte sich abrupt um. Er starrte auf einen Felsen, der dem Flusslauf trotzte und Wasser aufschäumen ließ. »Unter diesen Umständen sehe ich keinen Grund, warum du auch nur einen Tag länger in der Klosterschule bleiben solltest«, sagte er. »Ich betrachte deine Ausbildung als abgeschlossen. Ich möchte, dass du noch heute dem Cellerar Wachstafel, Griffel und Wolldecke aushändigst und morgen in aller Frühe aufbrichst.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drückte sich der Schulmeister durch das Gestrüpp und begab sich auf den Rückweg.
     
    In der Nacht prangten zahllose Sterne über der Abtei. Die Astrologen lasen aus ihnen die Zukunft, aber Hartmann verstand nichts von Geburtsherrschern, Sonnenzeichen oder Aszendenten. Sein Schicksal lag im Dunklen.
    Unruhig wälzte er sich hin und her und fand keinen Schlaf. Dass alles so schnell gehen würde und er schon morgen die Abtei verlassen müsste - damit hatte er nicht gerechnet. Hatte er klug gehandelt, indem er die Sicherheit des Klosters ausgeschlagen hatte? Hier würde er vor Hunger und Kriegen geschützt sein. Hier könnte er als Buchgelehrter ein sinnvolles Dasein führen. Das alles tauschte er gegen die Ungewissheit ein.
    »Schläfst du schon?«, fragte Ulrich.
    »Ich bin wach!«, erwiderte Hartmann.
    »Vater Jean hat mich heute aufgesucht und mir von eurem Gespräch berichtet. Er war sehr zornig und sagte, dass sich deine wahre Gesinnung nicht in deinem Fleiß, sondern in dem Harfenspiel gezeigt hätte. Auch fragte
er mich, ob ich an deiner Stelle dem Konvent beitreten wolle.«
    »Dann hast du doch bekommen, was du wolltest!«
    »Ich muss dir noch etwas sagen! Als ich dich beim Schülerkapitel anzeigte, da...«
    »Da bist du deiner Überzeugung nachgekommen - das weiß ich längst!«, kam ihm Hartmann zuvor.
    »Bitte! Das Schweigen zwischen uns ist mir unerträglich geworden. Wir waren einmal Freunde. Nichts ist davon geblieben. Nach deiner Rückkehr aus dem Spital unterhielten wir uns zwar, aber die Worte kamen nicht von Herzen.«
    »Deine Anzeige hätte mich beinahe getötet. Wie soll ich dir da noch vertrauen?«
    »Du hast ja Recht, aber ich habe in der Zwischenzeit nachgedacht. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Musik der Spielleute gefährlich ist. Im vergangenen Frühjahr wollte ich es noch glauben, weil dein ganzes Denken um die Harfe kreiste. Ich selbst kam mir immer entbehrlicher vor. Deine ganze Aufmerksamkeit galt der Musik...«
    »Wenigstens gibst du jetzt zu, dass du eifersüchtig warst!«
    »Ja, und es tut mir leid. Wenn ich heute noch einmal vor der Entscheidung stände, würde ich beim Schülerkapitel schweigen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«
    »Mir wäre es lieber gewesen, wenn dir das früher eingefallen wäre!«
    »Ich kann nichts mehr rückgängig machen, aber ich möchte dich wissen lassen, dass ich für dich da sein werde, wann immer du in Not gerätst. Trotz deiner Geistesgaben
wirst du es als Unfreier an den Höfen der Edelleute schwer haben. Wann immer du etwas brauchst, kannst du auf mich zählen, hörst du?«
    Wenn die Entschuldigung ernst gemeint war, kam sie reichlich spät. Wortlos wälzte sich Hartmann auf die andere Seite. Er konnte und wollte Ulrich keine Absolution erteilen. Vielleicht würde er ihm irgendwann verzeihen können, aber bestimmt nicht heute. Viel zu viel war auf ihn eingestürmt. Er wollte nur noch schlafen und sich so schnell wie möglich auf den Heimweg

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