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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Feuer. Der Duft des Fleisches trieb den Gästen das Wasser in den Mund. An der Hauswand standen Fässer mit dem schweren, aromatischen Beerenwein, so dass jederzeit für Nachschub gesorgt werden konnte. Sogar weißes Brot, das als besonders fein galt und normalerweise nur von Adeligen verzehrt wurde, lag in geflochtenen Körben bereit. Ein kleiner Junge griff nach einer duftenden Scheibe. Sein Vater, ein krummer und verhärmter Mann, holte mit der Hand aus, um ihm eine Maulschelle zu verpassen.
    »Lass ihn doch«, griff seine Ehefrau ein. »Dafür ist es doch da.«
    Ein Fiedler stimmte ein Lied an.

    »Wir wollen tanzen!«, rief ein Knecht, stemmte sich vom Tisch hoch und brüllte in Richtung der verschlossenen Tür: »Gesegnet seiest du, August!«
    Andere stimmten ein: »Ja, gesegnet seiest du, August!«
     
    Dankwart wusste um seine Pflichten. Ruhig ging er von Tisch zu Tisch und unterhielt sich mit den Hörigen. Er erkundigte sich nach den Vorräten, den Neugeborenen und den Fortschritten beim Bau eines großen Heuschobers. Nach seinem Rundgang kehrte er zu Agnes zurück.
    »Ich bleibe hier keinen Moment länger als notwendig«, sagte sie. »Ich will auch nichts von dem Braten essen. Ich traue dem freien Bauern so wenig über den Weg wie seinem Vater. Hast du gesehen, wie er Judith ins Haus gezerrt hat?«
    »Er konnte es wohl nicht abwarten. Bei uns war es genauso. Erinnerst du dich noch?«
    Agnes bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick und streichelte ihm über den Unterarm. »Bei uns war das etwas völlig anderes.«
    Dankwart nickte nur und wandte sich den Vögeln zu, die sich rund um die Festgesellschaft eingefunden hatten. Er brach einige Brocken vom Brot ab und warf sie auf das schwarze Erdreich. »Wir warten noch auf das Zeugnis der Beiliegung«, sagte er. »Dann können wir gehen.«
     
    Endlich öffnete sich die Haustür mit einem Knarren, und Mechthild präsentierte voller Stolz ein Laken, das in der Mitte eine Spur Jungfrauenblut aufwies. Der Triumph war ihr ins Gesicht gemeißelt. Bengt folgte ihr mit einem breiten Grinsen, griff sich das Laken und hielt einen Zipfel
hoch. Selbst die Art, wie er den eisernen Nagel durch den hellen Stoff in den Türrahmen trieb, hatte etwas Anzügliches. August stapfte aus dem Haus und zurrte seinen Gürtel fest. Die Lobeshymnen wollten kein Ende nehmen und er nahm sie wohlwollend entgegen. Zwei Bauern, die im Heimgarten das Wort führten, griff er um die Schulter und sagte ihnen: »Kommt mal mit! Für euch beide habe ich ein ganz besonderes Tröpfchen!«
     
    Auf die Braut warteten die Gäste vergeblich. Judith blieb auf dem Bett liegen und starrte an die Decke. Die Beiliegung war ganz anders gewesen, als sie sich vorgestellt hatte. August hatte sie einfach aufs Bett geworfen, ihre Beine gespreizt und war in sie eingedrungen. Ein heißer Schmerz hatte sich in ihre Eingeweide gebohrt. Vorbei an seinem hechelnden Atem hatte sie in das starre Strahlen der Mutter geblickt, die am Fußende des Bettes gesessen hatte. Bengt, der Verwandte aus Freiburg, hatte August durch Zurufe wie »Schneller!«, »Fester« und »Härter!« angefeuert.
    Judith setzte sich auf und zog die Wolldecke über ihre Schultern. Sie fragte sich, ob es mit Hartmann genauso gewesen wäre. Nein , dachte sie. Ganz bestimmt nicht! Sie war sich sicher, dass er sich sofort zurückgezogen hätte, wenn er gemerkt hätte, dass er ihr wehtat oder dass sie noch nicht bereit war. Er hätte nicht nur seine Lust befriedigt, sondern wäre viel behutsamer vorgegangen.
    Plötzlich spürte sie, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, und wischte sie mit dem Handrücken weg. Sie musste jetzt tapfer sein, durfte sich nicht so gehen lassen. Gleich wollte sie sich ankleiden und hinausgehen, um sich unter
die Gäste zu mischen. August erwartete sie bestimmt, auch ihre Mutter und ihr guter Vater hielten gewiss schon nach ihr Ausschau. Außerdem war Agnes von der Adlerburg unter den Gästen. Die gute Frau!, dachte sie. Wie geduldig sie mit mir war. Wahrscheinlich hat sie genau gesehen, wie laienhaft meine Stickerei war, und hat nur nichts gesagt, um mich nicht zu verletzen.
    Wehmütig blickte sie in den Ofen, wo ihr Schulterumhang verbrannte. August hatte ihn einfach in die Flammen geworfen. Er hatte gesagt, dass es sich für die Ehefrau eines Freien nicht schicken würde, mit einem so bunten Stofffetzen herumzulaufen. Wenn sie etwas bräuchte, würde er ihr ein teuresTuch vom Markt in Freiburg mitbringen.
    Judith

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