Der Minnesaenger
»Die Frau ist dem Manne Untertan«, hatte sie einmal gesagt. Bei einer anderen Gelegenheit erklärte sie: »Liebe ohne Leid gibt es nicht.« Um Trost zu spenden oder einen überlegten Rat zu erteilen, fehlte es ihr an Uneigennützigkeit. Und sich in die Gefühlswelt eines anderen hineinversetzen konnte sie schon gar nicht.
»Nun sprich schon! Hat er dich angefasst? Hast du dich wieder besteigen lassen?«
Judith schickte ein Stoßgebet zum Himmel, damit die Schläge schnell vorübergingen. Unvermittelt wurde ihr bewusst, wie sehr sie die Gottesdienste vermisste. Leider hatte es der neue Prediger nur wenige Wochen in Aue
ausgehalten, bevor er das Weite gesucht hatte. »Ich habe Hartmann schon lange nicht mehr gesehen«, erwiderte sie. Soweit ich weiß, arbeitet er als Notargehilfe...«
»Woher weißt du das? Hast du hinter meinem Rücken Erkundigungen eingeholt? Du wirst schon sehen, wie weit du mit deinen Lügen kommt - du verdammte Metze!«
Der erste Faustschlag traf sie ins Gesicht und warf sie auf den Boden. Judith krümmte sich und hielt schützend die Arme über den Leib. »Nicht in den Bauch treten«, schrie sie. »Bitte, Herr!... Nein!... Ein Kind... Mein Leib... gesegnet... Herr, bitte nicht...«
»Hure, du dreckige Hure!«August trat seine Ehefrau an den Kopf, in den Unterleib und in die Lenden. Plötzlich ließ er von ihr ab und sank auf den Schemel. Schwer atmend griff er nach dem Krug, trank ihn in einem Zug leer und rülpste laut. »Verdammt, ich bin einfach zu besoffen. Heute musst du es dir selber besorgen.«
Judith wollte sich aufstemmen, aber ihr Rücken war von einer warmen Steifheit befallen. Wenn sie ihn durchstreckte, übte er einen Druck auf ihre Innereien aus. Es fühlte sich an, als ob sich etwas aus ihrem Schoß erbrechen wollte. Sie zog sich am Tischbein hoch und augenblicklich erfasste sie ein heftiger Schwindel. Sie hatte den Eindruck, dass alle Gegenstände, die Mauern und ihr Ehemann durcheinanderwirbelten. Irgendwie schaffte sie es zurTür, die sie aufriss, und fiel dann in den Schnee. Stöhnend rappelte sie sich auf und rannte los.
An der Böschung peitschten die Äste der Weiden in ihr Gesicht. Am Tage hatte es getaut, und der Bach führte viel Schmelzwasser, das gurgelnd vorüberschäumte. Wie sollte sie ans andere Ufer gelangen, ohne von dem Strom mitgerissen
zu werden? Schluchzend sank sie auf den Strand. Die Müdigkeit kam lautlos wie ein Schiff aus dem Nebel. Nein, dachte sie plötzlich, ich muss bei Bewusstsein bleiben. Ich muss weiter zur Adlerburg. Agnes hat mir Hilfe angeboten. Sie weiß bestimmt, was zu tun ist.
Als sie aufstehen wollte, spürte sie plötzlich einen heißen Schmerz, der ihr wie ein glühendes Schwert in den Leib fuhr. Sie konnte nur hoffen, dass es Urin war, der warm an den Innenseiten ihrer Schenkel hinabfloss. Ihre Hände tasteten nach unten, trafen zuerst auf glitschigen Schleim, dann auf ein schrumpeliges Ding, das sich anfühlte wie der Körper einer Kröte...
3.
Hartmann wagte nicht, den Kopf zu heben, aber er konnte deutlich hören, wie die Gespräche ringsum verstummten. Sogar die Musik setzte aus.
»Das ist doch der Gehilfe des notarius’«, sagte der Truchsess.
»Und noch dazu ist er ein Musikliebhaber«, ergänzte der Herzog und sagte zu einem Diener, dessen Bettstätte nur wenige Meter von Hartmanns Lager im Gesindehaus entfernt war: »Hol einen Schemel und stell ihn neben meinen Stuhl.«
Wieder spürte der Jüngling die Hand auf seiner Schulter, die ihn vorbei an den übrigen Gästen vorwärtsdrängte.
»Was ist los mit euch?«, rief der Herzog. »Ihr seid doch sonst nicht auf den Mund gefallen.«
Der Diener lief herbei und stellte wie geheißen den Schemel ab.
Während sich der Herzog auf seinem Stuhl niederließ und seine Arme wohlig auf den Lehnen ausstreckte, setzte sich Hartmann auf den Hocker und starrte auf das Tischbein, das mit kostbaren Schnitzereien verziert war.
Ein Markgraf knüpfte an das unterbrochene Gespräch an: »Erzählt weiter, Gevatter. Nach welchen Kriterien habt Ihr den Bauplatz ausgesucht?«
»Der Bauplatz sollte möglichst der Stätte in Burgdorf gleichen«, erwiderte der Herzog. »Wir sind ziemlich lange durchs Land geritten, aber als wir das Gelände sahen, waren wir uns sofort einig. Der tief in den Fels gegrabene Fluss, die Emme, umgibt in einer Schlinge den Hügel. Auf drei Seiten fallen die Abhänge steil ab. Aus diesen Richtungen ist eine Burg uneinnehmbar. Nur die vierte Seite ist zum Land
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