Der Minnesaenger
weggetragen werden konnte. Aus dem Inneren schlug ihm ein staubiger Pergamentgeruch entgegen. Sorgfältig blätterte er die Dokumente durch, bis er die Urkunde über die Gründung von Freiburg im Breisgau aus dem Jahre 1120 gefunden hatte, die ihm für den weiteren Text als Vorlage dienen sollte.
Draußen war der Mond längst aufgegangen, als der Jüngling mit der Wachstafel unter dem Arm hinüber zu Bruder Stephan, dem notarius, ging, der außerdem die Ämter des Arztes und Hofkaplans bekleidete. Der Kopf des Mönchs schob sich auf seltsame Weise immer seitlich über das Pult, so als könnte er sich seinen Notizen nur mit großer Vorsicht nähern. Links und rechts von ihm lagen Urkunden auf dem steinernen Boden, die Informationen über anerkannte Wohltaten, Lebens- und Sterbedaten, Eheschließungen, Kinder, Schenkungen und den Besitz der Zähringer enthielten. Seit Jahren arbeitete Bruder Stephan an der Genealogia Zaringorum, um die Geschlechterfolge der Fürsten und ihre Taten für die Nachwelt festzuhalten.
»Ich bin fertig!«, sagte Hartmann. »Wollt Ihr mir zuhören?«
»Fang nur an, mein Sohn!«, erwiderte der Mönch.
»Unde unicuique mercatori haream in constituto foro [ad] domos in proprium ...«, las Hartmann laut vor. »Darauf habe ich einem jeden Kaufmann in dem gegründeten Markt ein Grundstück zugeteilt, damit Häuser - als Eigentum - errichtet werden; und ich habe festgesetzt, dass von jedem Grundstück ein Solidus geltender Währung mir und meinen Nachkommen jährlich als Zins gezahlt werden soll, am Fest des heiligen Martin...«
»Erstaunlich!«, entschlüpfte es Bruder Stephan.
»Ist der Entwurf nicht zu Eurer Zufriedenheit geraten?«, fragte Hartmann.
Die Nase des Mönchs schob sich zuerst gegen das steinerne Pult, dann blickte er seitlich hoch. »Homo bonus semper tiro est - ein guter Mensch bleibt immer ein Anfänger«, sagte er und blinzelte aufgeregt. »Diese Worte seien dir Aufgabe zur Herzensbildung. Denke über sie nach. Wenn du ihren Sinn erfasst hast, komm wieder zu mir. Jetzt kannst du dich zur Nachtruhe begeben.«
Hartmann wünschte Bruder Stephan einen gesegneten Schlaf, schloss die schwere Kanzleitür hinter sich und stieg die vereiste Freitreppe hinunter. Aus dem Palassaal erklang lautes Geschrei, woraufhin ein abgehacktes Gelächter folgte. Offenbar tafelte die Familie des Herzogs noch immer.
Als Wehrbau besaß die Burg einen möglichst geringen Umfang, so dass sie von wenigen Kriegern verteidigt werden konnte. Demzufolge drängte sich im Inneren alles dicht zusammen. Entlang der Ringmauer reihten sich Küche, Stall, Scheune und Hundezwinger aneinander.
Hartmanns Unterbringung im Gesindehaus hatte bei den Bediensteten für Unzufriedenheit gesorgt, weil für ein weiteres Bett eigentlich der Platz fehlte. Möglichst leise öffnete er nun die Tür und schloss sie sogleich wieder. Um nicht gegen die Schlafenden zu stoßen, gewöhnte er seine Augen an die Dunkelheit und tastete sich dann weiter vor. Als er endlich die Strohmatratzen erreichte, schliefen der Pferdeknecht und die Küchenmagd miteinander. Ihren hellen Leiber entströmte ein schwerer Geruch.
»Glotz nicht so!«, zischte der Knecht.
»Lass ihn doch«, sagte die Magd keuchend, »er ist doch
noch ganz unschuldig. So etwas gab es wohl nicht in deinem Kloster, mein Kleiner, was?« Als sie einen heftigen Stoß empfing, stöhnte sie heiser auf. »Irgendwie gefällt es mir, wenn er zuschaut.«
»Was sagst du da?«
»Hör doch nicht auf«, bettelte die Magd und umfasste die Hinterbacken des Knechts. »Bitte... mach weiter... stoß fester zu... ja... jaaa!«
In der Klosterschule hatte Hartmann gelernt, dass jede sexuelle Betätigung an zwei Bedingungen geknüpft war: an die Ehe und an den Wunsch zur Zeugung eines Kindes. Schon der Samen galt als Kreatur, so dass seine Verschwendung einer Tötung gleichkam, aber das war nicht der Grund für seine Verärgerung. Seinetwegen konnten die beiden sich so oft lieben, wie sie wollten, wenn er nur genügend Schlaf bekam. Heute hatte er kurz nach Sonnenaufgang seine Tätigkeit als Schreiber aufgenommen. Augesehen von zwei kurzen Essenspausen hatte er den ganzen Tag durchgearbeitet. Jetzt war er hundemüde und wollte nur noch die Augen schließen, aber bei diesem Geschiebe, Gedränge und Geseufze war an Nachtruhe nicht zu denken.
»Beeilt euch gefälligst!«, sagte Hartmann, legte sich die Decke über die Schultern und verschwand nach draußen. Er konnte ja nicht ahnen, dass
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