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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinen Zorn erregen konnte? Das Bett war hergerichtet, der Lehmfußboden gekehrt. Im Ofen brannte ein Feuer und auf dem Tisch stand eine Platte mit Pökelfleisch.

    Sie erinnerte sich noch genau, wann seine Wutanfälle begonnen hatten. Kurz nach dem Markttag im vergangenen Jahr war er von einer Zechtour heimgekehrt und hatte sie aus dem Bett gezerrt. Zuerst hatte er blindlings auf sie eingeschlagen, dann hatte er sie brutal genommen. Seit jener Nacht konnte jedes Wort zu einem plötzlichen Wutanfall führen. Wenn er dazu aufgelegt war, drehte und wendete er den Sinn so lange, bis er den Anlass für eine erneute Züchtigung gefunden hatte.
    Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, schwieg Judith meistens. Sie sprach nur, wenn sie einer Frage nicht ausweichen konnte. Ihre Angst war so groß, dass auch frohe Botschaften nicht über ihre Lippen kamen. Aber heute musste sie endlich das Wort ergreifen. Sie musste allen Mut zusammennehmen, um ihm von dem Kind zu berichten, das in ihrem Leib heranwuchs.
    Mit einem Knarren flog die Tür auf. Breitbeinig baute August sich auf und schwenkte seinen massigen Kopf zuerst nach links, dann nach rechts. Genau nahm er sein Heim in Augenschein und schnalzte mit der Zunge. Als er beide Arme anhob, damit Judith ihm den Gürtel abnehmen konnte, war sie zunächst erleichtert. Offenbar war er mit dem Zustand des Wohnraumes einverstanden. Schnell kniete sie vor ihm nieder und roch sofort den Weindunst. Das konnte ein gutes, aber auch ein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht machte ihn der Rausch träge und es verlangte ihn nach Schlaf. Genauso gut konnte der Weingeist seinen Geschlechtstrieb steigern. Dann nahm er sie mit solcher Gewalt, dass sie mehrere Tage nicht gehen konnte. Vorerst blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als den Lauf der Dinge abzuwarten. Sie öffnete die Schnalle und
nahm ihm Schwert und Dolch ab. Beide Waffen legte sie neben das Bett, so dass sie sich in der Nacht in Griffweite befanden. Flink eilte sie zurück zum Tisch, um den Schemel zurechtzurücken, auf dem er sich ächzend niederließ.
    »Setz dich!«, befahl August, »und steh da nicht rum wie eine Magd.« Mit dreckigen Fingern griff er nach einem Stück Pökelfleisch und stopfte es sich in den Mund. »Warum lachst du nie? Deine Mutter erzählt jedem, wie gut du es bei mir hast. Du musst doch glücklich sein, dass ich dich überhaupt genommen habe. Weißt du eigentlich, wie viel ich für dich bezahlt habe?« Jetzt griff er nach der Schüssel mit Mehlmus, wobei sich die Finger seiner anderen Hand zu einer Schaufel krümmten. Mit hastigen Bewegungen stillte er seinen Hunger, leckte den Napf aus und trank den bereitgestellten Becher in einem Zug leer.
    Judith sprang sofort auf, um ihm nachzufüllen.
    »Bleib sitzen! Das kann ich selbst besorgen«, zischte August und schenkte sich ein. Das wiehernde Gelächter des Knechts drang in das Steinhaus und lenkte ihn ab. Der Wein lief über den Becherrand. Auf dem Tisch sammelte sich eine Lache und die Tropfen stürzten zwischen den Fichtenbrettern zu Boden. »So eine Sauerei!«, sagte er. »Was hast du da wieder angestellt? Meiner Mutter wäre das nie passiert!«
    Judith achtete genau auf den Ausdruck seines Gesichts, der so jäh umschlagen konnte wie der Wind.
    Er kniff die Augen zusammen und blickte sie verschlagen an. »Glaubst du etwa den Quatsch, den die Leute über meine Mutter erzählen?«
    Die Bäuerin war vor einigen Wochen tot am Bachufer aufgefunden worden. Im Heimgarten erzählten die Hörigen,
dass sie sich selbst entleibt hätte. »Wichtig allein ist«, sagte Judith, »dass sie eine gute Frau war und dass Gott sie im himmlischen Jerusalem willkommen heißt.«
    »Guck bloß nicht so ängstlich - du! Und sitz gefälligst aufrecht, wenn ich mit dir rede!«
    »Herr...«
    »Mutter hatte es gut bei mir. Alles hab ich ihr gekauft. Sie hätte sich niemals das Leben genommen. -Was hast du heute eigentlich getrieben? Hast du dich wieder mit dem Klugscheißer von der Adlerburg getroffen?«
    Diese Frage hatte August schon öfters gestellt. Ihre Antworten, wie immer sie ausfallen mochten, hatten ihm bisher stets Anlass gegeben, sie so fürchterlich zu prügeln, dass sie mehrere Tage das Bett hatte hüten müssen. Sie wollte weglaufen, aber ihre Beine versagten ihr den Dienst. Eigentlich konnte sie genauso gut bleiben. Wohin hätte sie auch flüchten sollen? Ihre Mutter wollte nichts von den Misshandlungen hören, sondern verlor sich immer nur in allgemeingültigen Belehrungen.

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