Der Minus-Mann
ist alles«, sage ich müde. Ein unmerkliches Nicken des Dienstführenden. Die Türe wird versperrt. Der Schweiß läuft mir in Bächen aus den Achseln. Ich schließe die Augen.
Reis und Tomatensauce und ein Stück Burenwurst zu Mittag. Der Reis klebt eklig am Löffel. Nachmittag kommt der Betriebsschreiber mit einem Beamten – Einkauf aufschreiben.
»Sie sind in die zweite Strafklasse zurückversetzt«, sagt der.
Also, Arbeitsverdienst habe ich keinen; Eigengeldbewilligung auch nicht. So kann ich nur Toilettenartikel notieren. Seife und Zahnpaste usw.
»Ruhig da herunten«, lacht der Beamte.
»Ja, sehr«, sage ich. Sie gehen. Ob Mutter diesmal umsonst gekommen ist? Gestern wäre mein Besuchstermin gewesen.
Dann schütte ich mir den Tabak aus den Socken und ziehe die Streichhölzer aus den Schlapfen und lege alles zwischen Blätter des Klopapiers. Sie kommen.
»Gemma, eini den Dreck. Schnö, i wü hamgeh«, sagt der Faltige. Onanieren, verzweifeltes Festhalten von Fantasiefetzen …
Der achte Tag.
Der neunte Tag.
Der zehnte Tag.
»Sie kommen wieder auf Ihre Zelle zurück«, sagt der Faltige förmlich.
Tief ziehe ich den Rauch in die Lungen, hocke auf meinem Packen. Die Wände und Heizungsrohre schwanken unmerklich. Rasieren, waschen – ich reibe die Haut brennend. Dann ab in die Arbeitszelle, niemand hat etwas von Arbeitswechsel gesagt.
»Jetzt werden Sie hoffentlich anständig arbeiten«, sagt das Rüsselgesicht jovial und läßt einen Packen Säcke für mich auf den Tisch legen.
»Ich habe Ihnen doch oft schon gesagt, ich kann das nicht, oder denken Sie, ich habe da unten geklebt«, sage ich.
»In zwei Tagen hole ich mir die fertigen Säcke «, sagt er und geht.
Wenn ich ihm eine in sein Schweinemaul schlage, bekomme ich ein Jahr Haft dazu. Ein Jahr, habe ich so viele Jahre zum Wegwerfen?
Und doch … »I hob da jo gsogt, de schickn di in Tiafling«, sagt der alte Gefangene, nickt befriedigt und wühlt in seinen Säcken; zählen, falzen, kleben.
Ein junger Gefangener sitzt beim Tisch neben der Türe. Er arbeitet tief über die Säcke gebeugt. Manchmal sieht er scheu auf. Er ist neu in der Zelle, war vorher in der Wäscherei, dort habe ich ihn häufig gesehen.
Nachmittag reden wir. Stockend, leise spricht er. Geschlagen haben sie ihn auf der Zelle, gehäkerlt bis aufs Blut. Dann haben sie ihn gefickt, mit Gewalt, wie er beteuert.
»Grod nur a Stickl hot man da Peda einigsteckt, de aundan hom mi ghoitn. Wiari gwant hob, homs ma a poa Watschn gehm«, sagt er. – Wieder einer, zwei Vorstrafen – einen Vierhundert-Schilling-Ratenbetrug und eine Rauferei – für den Paradeerstvollzug nicht mehr geeignet. Hierher paßt er besser. Jetzt will er etwas tun, muß etwas tun. Sich aufschneiden oder aufhängen.
Der Alte raschelt mit dem Papier. Er hat wieder tausend fertig. Nach zwei Tagen. »Ist etwas lieferfertig«, sagt der Beamte, und sein Schweinegesicht läuft rot an, »Sie haben ja wieder nichts gearbeitet«, brüllt er. Die andere, leichtere, besser bezahlte Arbeit kriegen die, die dir in den fetten Arsch kriechen … scharwenzeln und buckeln …
»Kniara« … »Herr Oberkontrolleur hin und Herr Oberkontrolleur her, und sollen wir noch tausend mehr machen …«, …nein, mein Bester … und wenn ich da unten verfaule … ich habe nur mehr acht Monate … und wenn ihr mich einen Monat in den Keller sperrt, müßt ihr mich wieder einen Monat hochlassen … steht im Gesetz, müßt ihr ja besser wissen …
»Morgen stehen Sie beim Rapport«, sagt er und stampft aus der Zelle. »Zwölf Tage Einzelhaft, vier Fasttage, vier harte Lager, wegen Arbeitsverweigerung. Was erwarten Sie sich von Ihrer Sturheit«, sagt der breitarschige Goldene und zeichnet Strichmännchen auf ein Blatt Papier.
»Nichts«, sage ich.
Zwölf Tage warten am Gitter und gehen.
Zweihundertachtundzwanzig Stunden …
gleich viele Unendlichkeiten … und erstarren, atmen, Kälte und … zersplitterte Wörter …
»Werden Sie jetzt arbeiten?« fragt der Faltige und zeigt mir den Belagzettel – Ost E … Kartonage …
Der Binkel liegt mir schwer auf der Schulter, und die Knie sind nachgiebig. Ich steige die Stufen ins Zellenhaus hinauf. Geschrei und Geklapper … Der Zuchthaustag …
Nebelfetzen an der Flanke der Weinberge. Ein dämmeriger, feuchter Novembertag. Die Luft schneidet gegen das Gesicht. Sprechen und Stimmen … gehen wie in einem schalldichten Raum.
»Der mant dich«, sagt einer daneben. Ich hebe den
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