Der Minus-Mann
Kopf.
»Wia gehts da … di sieht man übahaupt nimma … bis du olleweu auf da Oim«, schreit Karl aus dem Fenster der Wäscherei. Karl, er hat fünf Jahre wegen Totschlags. Acht Blechtöpfe voll Beuscherl hat er einmal gegessen. Sein riesiger Körper füllt das Holzviereck.
»Brauchst wos?« fragt er. Ich schüttle den Kopf. Ich brauche nichts … und Im-Kreis-Gehen und kalte Hände …
»Sie machen jetzt Kuverts«, sagt der Schweinekopf.
»Nein«, sage ich.
»Beim nächsten Mal kriegen Sie drei Wochen«, sagt er und geht. Er schreibt keine Meldung. Ich sitze oder liege am Arbeitstisch, lese, schlafe.
Ein Bekannter vermittelt mich in die Schuhmacherei. Ich repariere Absätze. Neben mir sitzt Gerhard. Er ist immer fröhlich und gut gelaunt. Er hat zwanzig Jahre, noch sechzehn vor sich. Er trinkt Spiritus … der ist mit Holzapfel versetzt … er zuckert ihn, gibt Kakao dazu und Zucker … dann säuft er die Brühe … wenn er sich keinen Spiritus besorgen kann, säuft er Nitroverdünnung und Politur aus der Tischlerei … er ist eine Frohnatur …
Der Betriebschef ist ruhig und arbeitet selbst mit. Der junge Beamte, der als zweiter Beamter Dienst macht, ist eine Laus. Er nörgelt und stichelt und treibt. Er ist sekkant und laut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich ihm querliege.
»Schneiden Sie die Absätze genauer, das kann man mit dem Schleifen nicht ausgleichen … halten Sie den Schuh so, nicht so … gehen Sie schon wieder rauchen? … Sie waren heute schon dreimal … reden Sie nicht zurück …«, tagelang, zwei Wochen … dann sage ich ihm, daß er mich kann … oft und tief ins Loch … ins Arschloch lecken. »Ich schreibe eine Meldung«, schreit er triumphierend. Der Betriebschef stimmt ihm bei.
»Sie taugen nichts, wo man Sie hingibt, nur Schwierigkeiten«, sagt der Major vorwurfsvoll und, »sieben Tage Einzelhaft, drei Fasttage, drei harte Lager.« Der Faltige begrüßt mich wie einen Verwandten.
»Host wos zum Rauchn mit«, fragt er und kneift ein Auge zu.
»Ja«, sage ich. Er verzichtet auf die Durchsuchung, dann führt er mich wie immer zum Arzt.
»Sie machen wohl eine Abmagerungskur«, sagt der und schreibt mich arresttauglich.
Graue Wände, mit grünlichem Schimmer … braune, dreckige Ölfarbe, zerkratzt, verblichen. Graue Gitter mit schwarzen Schabstellen, mit dunkleren Ringen. Spuren hunderter Hände, eine Assel kriecht aus dem Abtritt, läuft mir um die Füße. Schwarzverbrannte Rinde am Brot, einhundertachtundsechzig genormte Zeitschwellen.
Kälte von den Fensterritzen, von den Wänden, aus dem Boden. Gewohnheit schon … das Vorsichhinwarten … zeitloses Lehnen und Gehen … in das Nichts integriert …
Irgendwann war mein Geburtstag, war ich zweiundzwanzig geworden, wieder ein Jahr verschwunden, als hätte ich siebenhundert, nimm dich zusammen, es sind doch nur mehr lächerliche acht Monate, dann bist du frei. Der letzte Brief von Mutter, vier Seiten Aufmunterung. Sie weiß nichts von diesen unterirdischen Rastplätzen; das hätte nicht in die Briefe gepaßt, und sie würde sich doch bloß ›über meine schlechte Führung‹ aufregen. Dieses Wort ist bei ihr haften geblieben. Bei jedem Besuch betont sie es immer sehr … Mutter … wenn ich aus diesem Loch heraus bin, muß ich ihr sofort einen schönen, runden Adventsbrief schreiben.
Glattes Gleichmaß und keine Wellen im Teich des Bewußtseins. Linke Seite und Rücken und rechte Seite und Bauch … ein nächtlicher Kreisel auf der Suche nach Schlaf und Wärme.
»Ost E, Sacklpickn. Was mochst jetzt«, sagt der Hausarbeiter. Ich nehme meinen Binkel und gehe. Der Schweinegesichtige ignoriert mich. Er gibt mir keine Arbeit.
Tage später habe ich Verhandlung wegen der Rauferei. Ein schmales, junges, penetrantes Richterlein gibt mir vierzehn Tage Arrest wegen leichter Körperverletzung. Vom Messer ist nicht mehr die Rede. Zwei Tage später Rapport.
»Das Strafverfahren ist nun abgeschlossen … wegen Verstoß gegen die Hausordnung, Paragraph so und so bestrafe ich Sie mit vier Fasttagen«, sagt der Major. Aus schwammigem Gesicht sieht er mich nachdenklich an.
»Ich verstehe das nicht. Ich habe Ihren Akt durchgeblättert, Sie sind doch aus einer anständigen Familie, Ihr Vater ist Bankbeamter, ein geachteter Mann, und Ihre Mutter war schon einmal bei mir, soweit ich mich erinnere, eine sehr nette Frau, wie soll denn das mit Ihnen weitergehen?« sagt er und schüttelt mißbilligend den schlaffwangigen Kopf.
… wenn
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