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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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dem Ungarn. Er ist neben mir. Auch auf einer Gitterzelle.
    Vor ein paar Wochen, als ich noch Hausarbeiter war, kam er beim Einrücken von der Arbeit zu mir, einen verschmuddelten Briefumschlag in der Hand.
    »Do, les der Brief«, sagte er.
    »Den Brief«, verbesserte ich automatisch und nahm das zerknitterte Blatt aus dem Umschlag, dann sah ich, daß dieser auf ungarisch geschrieben war.
    »Versteh’ ich nicht, Lajos«, sagte ich. Sprudelnd und sich in der fremden Sprache vollkommen verwirrend, erzählte er mir den Inhalt. »Die Hur, zwa Johr bin i jetzt scho do und imma is brav kumma und jetzt hots an aundan, wü nimma wortn. Des klane Kind is drei Johr olt. Wos soll i mochn? Wos? I bin gonz duchananda«, sagte er. Seine Hände schwirrten, die dunklen Augen im breiten Gesicht hetzten. Ich kramte eine der üblichen Zuchthauströstungen aus.
    »Genau wie bei mir, Lajos, die Frauen sind eben alle fürn Arsch«, sagte ich lahm. Trubel und Essenausgabe, ein Geschäft mit der Korbflechterei. Ich schob sein Problem zur Seite. Mit hängenden Schultern trabte er auf seine Abteilung. Am Tag darauf hatte er den Betriebschef gebeten, ihn doch einen Tag in der Zelle zu lassen, er sei so nervös und kaputt.
    »Sie gehen arbeiten«, sagte der. Lajos weigerte sich. Der Beamte schrieb eine Meldung. Lajos wurde wegen Arbeitsverweigerung bestraft. Er wollte erklären, man hörte ihm nicht zu. Nicht der Major, nicht der Arzt. Sie sperrten ihn in den Keller. Lajos, der kleine, gedrungene Ungar, der von seinen fünf Jahren drei ruhig und arbeitsam heruntergebogen hatte, drehte durch. Er trennte in der Korrektionszelle seinen Strohsack auf. Er baute mit seiner eigenen Scheiße und dem Strohsack eine Hütte, in der er nackt hockte. Der Faltige sperrte am Morgen die Türe auf und kotzte auf den Gang. Dann brüllte er nach dem Hausarbeiter. Der mußte das Gekotzte aufwischen. Mit leerem Magen widerstandsfähiger, holte der Faltige nun aus seinem Dienstzimmer eine dicke Lederpeitsche – einen Ochsenziemer. Dann öffnete er die Tür zur Zelle erneut – die Peitsche hielt er auf dem Rücken.
    »Lajos, komm heraus, wir gehen zum Arzt.« Sichernd, langsam, zuerst auf Händen und Füßen, dann sich aufrichtend, kam der Ungar aus dem Betonbunker. Zwei andere Beamte, üblichen Sicherheitsdienst versehend, eilten vom Kellereingang zum Schauplatz. Der Faltige warf die Türe hinter dem Ungarn ins Schloß. Dann pfiff der Ochsenziemer auf den Überraschten. Auf Gesicht und Brust und Rücken und Beine. Die Haut platzte, er fiel zu Boden. Der Beamte schlug, bis ihm ein anderer die Peitsche aus der Hand wand.
    »Hör auf, du erschlägst ihn ja«, sagte der.
    Sie zerrten den Bewußtlosen hoch und warfen ihn wieder in die Zelle. Sie schlugen ihn wieder und wieder mit den Fäusten ins Gesicht und mit dem schweren Zellenschlüssel auf den Kopf, bis ihm das Blut in die Augen rann und er heulend wie ein Tier in der Ecke kauerte und zitterte, wenn die Türe geöffnet wurde.
    Jetzt ist er nicht mehr unruhig. Jetzt ist er verrückt. Stumpfe, teilnahmslose Augen, wirres Reden, eckiger, steifer Gang. Sie schickten ihn ins Irrenhaus, dann holten sie ihn wieder. Wenn er Zeichen von Unruhe zeigt, wie momentan, sperren sie ihn in die Beruhigungszelle, die neben mir.
    Das war Lajos. Dann die Pritsche und Karotten, holzig und hart, zum Abendessen. Selbst der Rauch der Gedrehten schmeckt nach Absonderung und Einsamkeit.
    Der siebente Tag.
    »Sie haben geraucht«, sagt der Beamte, ein verkniffener Jüngling mit Hühnerbrust und Triefaugen, »geben Sie sofort den Tabak und die Streichhölzer her«, giftig und eifrig fuchtelt er vor dem Gitter. Ich stehe mit dem Rücken zu ihm vor der Fensterwand.
    »Sie, haben Sie nicht gehört?« schreit er.
    »Verschwinde, laß mich in Ruhe«, sage ich friedlich. Er schlagt murrend die Türe hinter sich zu. Zehn Minuten, vielleicht eine Viertelstunde später. Der Faltige steht am Gitter, neben ihm ein Wachinspektor, dahinter drängen sich drei Beamte.
    »Sei vernünftig, gib den Rauch her«, sagt der Faltige. Er macht auf. »Du weißt ja, das ist Vorschrift, und was können wir dafür.« Warum, ihr grünen Schweine, kommt ihr dann fünf Mann hoch? Ach ja, daß es mir leichter fällt, vernünftiger zu sein.
    Ich gebe ihm den Plastiksack mit etwas Tabak, Papier und Streichhölzern.
    »Ist das wirklich ollas«, fragt er mißtrauisch.
    Sie sind fünf und gut genährt und im Recht, sind geachtete Bürger und akzeptierte Mitmenschen.
    »Ja, das

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