Der Minus-Mann
er ablehnend.
»Ich möchte am Kommando ersuchen, daß ich auf eine Einzelzelle komme. Auf das Schwulengekuder und das blöde Lachen vom Siegel habe ich kein Bedürfnis«, sage ich. Er ist jung und bestrebt, mir klarzumachen, daß ich, außer auf die mir zugewiesene Zelle zu kommen, gar nichts zu wollen habe. Er geht Richtung Ostflügel. Ich bleibe stehen. »Na los, kommen Sie, ich hab’s eilig«, sagt er und schüttelt den Schlüsselbund.
Ich biege nach rechts ab, gehe die Stiegen zum Keller hinunter. Es ist zwecklos zu reden, sie begreifen nicht …
Der Faltige schüttelt stumm den Kopf. Umziehen, dann sperrt er hinter mir ab. Ich lehne am Gitter, als wäre ich nie fortgewesen. Dann Schlüssel an der Türe. Ein Wachinspektor mit riesigen Ohren und bösen, schmalen Augen, »sind Sie verrückt … Sie ziehen sich jetzt wieder um und gehen auf Ihre Zelle … wenn da jeder in den Keller gehen würde, wie er wollte, wo kämen wir denn da hin«, schreit er.
Wohin? … Ihr würdet aufhören, diese Drecklöcher als ständiges Droh- und Druckmittel zu gebrauchen … wieder ein Quentchen Willkür weniger … ihr müßtet euch vermenschlichen, aber … die Angst … nur dürft ihr das Werk nicht überdrehen … sonst ist es kaputt und funktioniert nicht mehr …
»Ich will auf eine Einzelzelle, und das hier ist eine«, sage ich. Er streicht sich über das Kinn. Er braucht einen Grund, um mich in der Absonderung zu lassen, dann leuchten seine Augen plötzlich auf, Heureka.
»Belagsverweigerung, das ist Belagsverweigerung, das gibt eine Meldung, haben Sie immer noch nicht genug«, fragt er. Ich gebe keine Antwort.
»Drei Tage Einzelhaft«, sagt der Major am anderen Tag. Ich kann gehen.
»Am Belagszettel ist wieder dieselbe Zelle«, sagt der Beamte, der mich drei Tage später holt. Ich greife zu den dreckigen Klamotten. Der Faltige starrt finster auf mich, den Belagszettel, wieder auf mich. Ich gehe wieder in die Gitterzelle.
Dann holt man mich. West E die nächste Station. Einzelhaft. Ein mürrischer, schweigsamer Stockchef durchsucht täglich meine Zelle. Keine Arbeit. Ich liege, lese. Die Sonne ist matt und rötlich, eisig, dämmrig streichen die Tage vorüber. Ich habe nichts zu rauchen, bin isoliert. Wochen vergehen. Besuch. Mutter plant und redet und hat Vaters Tod, glaube ich, noch nicht begriffen. Jedes dritte Wort ist von ihm, was er dazu sagte und … Sie umklammert meine Hände, redet wieder von guter Führung, daß man ihr gesagt hat, daß ich angeblich jemanden verprügelt hätte …
»Kannst du nicht den Mund halten und einfach weggehen«, sagt sie. Doch Mutter, ich könnte weggehen … drei, vielleicht auch vier Meter … und dann, was sollte ich dann tun …
»Ja, das werde ich tun«, sage ich, und sie lächelt. Und dieses verzweifelte mich Aufmunternwollen, tut mir weh. Wie mutig sie doch ist, die kleine Frau.
Jutta schreibt. Ich habe sie vergessen … weiß vieles nicht mehr … in einem grauen Schlamm alter Tage liegt das versunken … lange, lange her.
Eines meiner drei Hemden ist so fadenscheinig, daß ich es nicht mehr anziehen kann. Es würde in Streifen zerfallen. Ich melde es dem Stockchef. »Des homs obsichtlich zrissn«, sagt er. Ich zeige ihm den brüchigen Stoff. Er schüttelt den Kopf.
»Des is Wuarscht, do wird a Mödung gschriebn«, knurrt er. Vier Fasttage gibt mir der Major dafür.
»Geben Sie mir einen Bogen, ich werde mich beschweren«, sage ich zu ihm.
»Meinetwegen«, sagt er achselzuckend.
Vorerst gehe ich einmal in den Keller, um den ersten Fasttag zu machen. Wieder auf West E setze ich mich zum Tisch und schreibe an den Anstaltsleiter.
N. N.
Nr. 12.547 Stein, am … Februar 1967
West E 25
Sehr geehrter Herr Regierungsrat!
Ich wurde am … 1967 wegen Verstoßung gegen Paragraph yy der Hausordnung, böswillige, vorsätzliche Beschädigung von Anstaltseigentum von Herrn Major N. zu 4 (vier) Tagen Fasten bei Wasser und Brot verurteilt. Ich erhebe gegen diese Verurteilung
BESCHWERDE
Begründung: Bei dem inkriminierten Gegenstand handelt es sich um ein Hemd, welches mir mit zwei anderen wechselweise während meines Aufenthaltes in der Anstalt zur Verfügung gestellt ist und mit meiner Wäschenummer 503 gekennzeichnet ist. Am … 1967 erstattete ich bei dem Abteilungsleiter Herrn JWOK N. Meldung, daß besagtes Hemd in einem zerschlissenen Zustand sei und ich, würde ich dieses Hemd anziehen, den Stoff zerreißen würde. Der Stockchef
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