Der Minus-Mann
Der winkt bärbeißig ab. Ohne Geld im Januar ist Hamburg für einen Fünfzehnjährigen ein unfreundliches Pflaster. Vier Tage schlafe ich zwischen Kisten im Hafen, dann folgt ein Temperatursturz, und die Polizei gabelt mich halb erfroren vor einem Heuerstall auf und schickt mich nach Österreich zurück. Dann erscheint ein Psychologe auf der Bildfläche, der großen Einfluß auf meine Eltern gewinnt.
»Bis zur Berufungsverhandlung soll er zeigen, ob er gewillt ist zu arbeiten«, sagt er und vermittelt mir einen Job beim Autobahnbau.
»Am bestn is, du tuast, wos da de aundan sogn«, sagt der Polier und läßt mich stehen. Die anderen befehlen, jeder hat pausenlos etwas für mich zu tun, bis ich einem die Schaufel über den Schädel schlage, dann sind sie plötzlich Kameraden und laden mich zum Rumtrinken ein, dann tragen sie mich bewußtlos ins Quartier. »Deswegen brauchst jo an net glei den Schädl einhaun«, sagt der Polier und lacht brüllend.
Dann schaffe ich es, ein Viertel Rum ex zu überstehen, und bin akzeptiert.
›Die Strafe wurde in neun Monate Arrest umgewandelt und ist binnen acht Tagen anzutreten‹, steht in dem Wisch vom Oberlandesgericht. »Ein Verbrecher gehört eingesperrt«, sagt mein Vater und sonst nichts. Der Psychologe ringt die Hände, und der Rechtsanwalt zuckt die Achseln. »Ich haue ab, zur Fremdenlegion«, sage ich zu Mutter. Die ist verzweifelt. »Aber du wirst doch erst in zehn Monaten sechzehn«, sagt sie dann. »Ich habe in der Zeitung gelesen, die Franzosen führen in Algerien einen Krieg, und die Legion hat hohe Verluste, bei meiner Größe schauen die nicht so genau auf das Geburtsdatum«, sage ich. Der Vater erfährt nichts davon.
Mit dreihundert Schilling, einem Koffer und der Absicht mich direkt in Marseille zu verpflichten, trampe ich los.
Udine, Vicenza, Brescia, Mailand, Turin und Susa, dann bin ich an der französischen Grenze. Auf der Porta Cesana liegen vier Meter Schnee, und ich friere wie ein Hund. Nach sieben Stunden nimmt mich ein Engländer mit bis Gap.
»Ich bin illegal in das Land gekommen und möchte zur Legion«, sage ich am Ortsposten der Gendarmerie Nationale. Die Beamten nicken gelassen und bringen mich – ins Gefängnis. Acht Tage später gibt mir ein Richter vierzehn Tage Arrest wegen illegalen Grenzübertritts, und dann schickt mich die Gendarmerie nach Marseille. An der Gare St. Charles holt mich ein Jeep mit Corporal Chef und einem Legionär mit Käppi blanc am Steuer ab. Es ist Ende April und glühend heiß. Über die Canabiere fährt der Jeep am alten Hafen entlang, dann sind wir in St. Jean, der großen gelben Kaserne der Legion. »Hast du Papiere?« fragt der Sergeant in der Torwache. »Das hier«, sage ich und lege einen Zettel auf den Tisch, den man mir nach der Entlassung in Gap nach meinen Angaben ausgestellt hat. Heinz Koch, geb. am 9.11.1041 in Dresden, Ostdeutschland, vor einem Jahr in die Bundesrepublik geflüchtet, dann weiter nach Österreich gezogen, keine Verwandten‹, steht da. Der Sergeant überfliegt den Zettel. »Nimm deine Klamotten, geh quer durch den Hof, dann die Treppe hoch an der Sanitätsstation links vorbei, in die Schlaf räume – hast du Zigaretten?« sagt er auf Deutsch. Er heißt Schmitz und ist aus Leipzig, erfahre ich später. Er gibt mir drei Pakete ›La Troupe‹ und einen Zehn-Franc-Bon für die Kantine. Im Schlafsaal hocken sie auf den Betten, spielen Karten und saufen. »Junge, bleib hier, setz dich nicht zu diesen dreckigen Spaghettifressern«, sagt einer zu mir, und dann bin ich in einer deutschen Runde. Um zehn wird das Licht ausgelöscht, ein Korporal steht in der Türe.
»Schlägereien sind mir scheißegal, nur Tote will ich nicht sehen«, sagt er grinsend auf Deutsch, »und haut die Schlappohren mal feste in die Schnauze.« Dann schaltet er das Licht aus.
Zehn Minuten später beginnt die Schlacht. Italiener und Spanier, Engländer, Holländer und Ungarn gegen Deutsche, Schweizer und Österreicher.
Mit vier lockeren Zähnen und zerschlagenen Knöcheln sitze ich dann mit einem Berliner auf der Terrasse. Ein riesiger Orangenmond hängt über dem Fort S. Nicolas, einen Steinwurf über dem Wasser, und wir reden über den Sieg – fünf Worte, eine Flasche Bier – immer abwechselnd …
Anderntags bekommen wir Uniformen, khakifarben und ein grünes Schiffchen mit roten Streifen. Das ersehnte Käppi blanc gibt es erst nach der Ausbildung in Siddi bei Abbes. Abends hocke ich in der Kantine und schaue auf
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