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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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darin ist. Seit vielen Jahren hat der alte Mann die Gewohnheit, wenn meine Tante gebacken hat, mir einige Stücke davon aufzuheben. Hin und wieder vergißt er es und dann ist der Kuchen Monate alt und verdorben. Diesmal sind einige frische Anisschnitten in dem Papier. Ich bedanke mich und stecke die Kuchen in die Tasche.
    Großvater hat vor vielen Jahren ein Pferdefuhrwerk besessen und ist viel in der Gegend herumgekommen, als Frachter in den Orten rund um Odenburg. Jetzt bestellt er den Garten, betreut die Hühner und Katzen. Im Sommer sitzt er gerne unter dem riesigen Nussbaum und läßt sich die Sonne auf sein schmerzendes Bein scheinen. In den letzten Wochen hatte ich erst begriffen, daß Großvater sehr einsam war. Der alte Mann ist tagsüber alleine im Garten. Abends sitzt er in der großen Küche und schaut durch das Fenster auf die Straße hinaus. Er schaltet selten das Licht an, und wenn es ganz dunkel ist, streift er die Katzen von seiner Schürze und humpelt in sein Zimmer.
    Meine Tante besorgt seine Wäsche, seine Mahlzeiten, mit meinem Onkel hatte ich ihn nie sprechen hören. Der alte Mann war immer verschlossen gewesen. Bei schlechtem Wetter blieb er tagsüber in dem ehemaligen Pferdestall, der nun als Brennholzschuppen dient, in dem abgeteilten Raum, in dem wir sind, las er in seinen alten ungarischen Gebetsbüchern.
    Der alte Mann sitzt nun wieder friedlich, die Katze hat es sich wieder auf seinem Schoß bequem gemacht. Er sieht mich an, und in seinem Blick ist keine Eile.
    »In einem Monat sehen wir uns dann«, sage ich und gehe.
     
    Das Kloster ist graugelb und mit einer hohen Mauer umgeben. Der Gasse zu schließt an die Mauer der Kirchenbau an.
    Kapuzinerkirche und Kloster in einem in Wiener Neustadt. Neun Zöglinge zwischen zwölf und siebzehn Jahren, enge Zimmer, lange, dumpfe Gänge, Wecken um halb sechs Uhr früh, ministrieren in der eisigen Kirche, jede Woche zwei andere, dann Frühstück im Refektorium.
    Zehn vor acht ab in die Schule, drei Gassen weiter, ein großes, gelbes Haus, gegenüber ein Park, alte, knorrige Bäume. In der Halle hinter den Flügeltüren der Schulgeruch nach Tinte, Moder, feuchten Kleidern, Brot und Pisse. 47 Schüler in der Realschule-Klasse, ein hysterischer Klassenvorstand. Ich schlafe als zuletzt Gekommener auf dem hintersten Platz, der Eselsbank. Dann zurück in das Kloster, Mittagessen um zwei Uhr, eine mürrische Köchin, der aufsichtführende Pater rülpst und liest im Brevier. Bettelmönche mit Riesenbäuchen und wieselflinken, harten Augen, salbungsvolle Schwärmer, unfähige Erzieher. Freistunde bis halb vier. Fußball auf dem staubigen Platz zwischen den Mauern, dann Studierzeit bis sechs Uhr, dann Abendessen, eine Viertelstunde Freizeit, dann Studierzeit bis halb neun Uhr, dann Abendessen bis halb zehn Uhr, waschen. Licht aus. Ich schlafe beim Abendgebet ein, werde bestraft, Kirche reinigen während der Freizeit, ich klaue den Meßwein, schleiche mich auf den Turm über schwindelnde Holzgerüste, dort trinke ich. Eine halbe Flasche pro Tag, dann stehle ich weiter – Zigaretten und Wein – manchmal bin ich betrunken, aber ich lerne schnell, es zu verbergen, dann schleiche ich nachts auf den Turm und trinke, da bin ich sicher. Nie falle ich über die schmalen, schwankenden Bretter, die in acht Meter Höhe über der Decke des Kirchenschiffs laufen. Manchmal borgt mir ein Pater sein Luftdruckgewehr, dann schieße ich auf Tauben und Menschen gegenüber im Park, aber durch das hastige Trinken bin ich immer sehr schnell betrunken, und dann verschwimmt das Ziel, vielleicht trägt das Gewehr auch nicht so weit. Manchmal kommen Mädchen von der katholischen Jungschar ins Kloster. Ihre schrillen Stimmen hallen über die Gänge. Dann läßt sich eine von mir den Turm zeigen. Wir knutschen, ich ziehe ihr das Höschen aus, gebe ihr zu rauchen und zu trinken. Dann wird ihr übel, und sie weint. Das ärgert mich. Wenn diese idiotische Kuh davon redet, zu Hause, oder zu den anderen. Ich drücke ihr den Gewehrlauf an die Stirn.
    »Nicht, das ist gefährlich, einem in der Schule ist damit ein Auge zerstört worden«, heult sie auf.
    Ich bohre mit den Fingern in ihr und dann sind meine Finger blutig und sie schreit und schluchzt.
    »Ich schieß dich in den Kopf, wenn du mit jemanden darüber sprichst«, sage ich und wische das Blut ins Taschentuch.
    »Du hast mir weh getan«, plärrt sie und deutet auf den dünn beflaumten Schlitz: »da unten.«
    Aber sie kommt wieder und

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