Der Minus-Mann
den Film, der auf die Wand projiziert wird. Drei Tage später stehe ich mit vier anderen in einem Raum im Kommandogebäude und unterschreibe den Vertrag. Fünf Jahre Dienstzeit, Name nach Wahl usw. Als Kleingedrucktes: Die Legion behält sich drei Monate das Recht vor, den Vertrag ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Aber wer achtet schon auf das?
Drei Wochen lungern wir in der Kaserne herum, dann holt man mich zum Verhör beim Deuxieme Bureau, neben dem Sergeanten, der die Vernehmung durchführt, sitzt ein Mann aus Dresden – er stellt Fragen … ich kann nicht antworten – sie nehmen meine Fingerabdrücke … vierundzwanzig Stunden später erzählt mir der Sergeant die Geschichte eines noch nicht sechzehnjährigen Jungen, der in Österreich zur Vollziehung einer Haftstrafe polizeilich gesucht wird. Ich bekomme fünfzig Neue Franc, meine Klamotten, und dann stehe ich vor der Kaserne am Quai des Beiges. Legion und Kriegsruhm, den ich mir natürlich erwartet habe, gehören der Vergangenheit an.
Im Araberviertel um die Rue Thubaneau esse ich Kus-Kus und peile die Lage. Dann trotte ich in den Hafen. Am Pier neun liegt ein kleines, abgewracktes Schiff. Am Flohmarkt besorge ich mir eine Matratze, Decken und ein Messer gegen die Ratten, die mit vier Beinen und die anderen. Tagsüber brate ich an der Plage in der Sonne – zwischen den fast geschlossenen Lidern belauere ich die Badegäste, und wenn sie ins Wasser gehen, fehlt die Geldbörse oder eine Brieftasche nachher – manchmal knacke ich Autos, aber da ist selten was drinnen. Manchmal laden mich die Matrosen von den deutschen oder englischen Schiffen ein zum Mittrinken, dann liege ich angesäuselt in meiner Koje, und auch die Ratten, die mir über das Gesicht laufen, stören mich kaum.
Irgendwann verfolgen mich drei schwule Araber den Pier entlang bis hinaus zum Liegeplatz meines Schiffes – fast am Ende des Piers ist ein kleiner Leuchtturm – , im Schatten verkrochen warte ich, bis sie auftauchen. Der Pier ist etwa drei Meter breit und führt hundert Meter in das Hafenbecken hinaus, kein Mensch ist hier in der Nacht, der Wind heult um das Gestänge des Leuchtturms, und ich habe Angst. Dann sind sie hier. In dem rotierenden Licht sehe ich einen plötzlich dicht vor mir. Breit und riesig erscheint er mir. Ich springe und halte den Atem an. Das Wasser ist kalt und ölig schwarz. Dann brennen mir die Lungen, und ich tauche auf. Der Pier ist dreißig Meter hinter mir, und die drei stehen am Rand und gestikulieren. Ich streife unter Wasser meine Jeans ab und binde sie mir um den Hals, die Sandalen sind weg, dann schwimme ich quer durch das Becken auf einen der mächtigen Schiffsschatten zu. Über eine stark übermooste Steintreppe komme ich wieder auf den Kai. Drei große Frachter liegen hier vertäut. Meine Arme schmerzen, und mein Keuchen muß einen Kilometer weit zu hören sein. Ich wringe meine Hose und mein Hemd aus, dann hocke ich mich auf eine Orangenkiste und sehne mich nach einer Zigarette. Dann drückt mich die Müdigkeit gegen die Wand eines Lagerhauses, und ich schlafe in eine Ecke gehockt ein. Am Vormittag hole ich mir meine Klamotten von dem Wrack; obwohl niemand zu sehen ist, habe ich keine Lust mehr, dort zu bleiben. Ich kann kein Quartier auftreiben und bleibe bei den Orangenkisten. Nachts beißt mich eine Ratte in den Knöchel. Ich erschlage sie und noch einen von den ekligen, fetten Schatten um mich. Dann verschwinde ich und hocke in einer Matrosenkneipe hinter dem Quai des Rives Neuves. Dort ist Helmut, ein deutscher Matrose, der auf der ›Willem Blook‹, einem Holländer, arbeitet, und Sandra, die Absinthdirne. Vor dreizehn Jahren kam sie aus Hamburg, dann wurde ihr Zuhälter erschossen, und der nächste sitzt seit sechs Jahren wegen Mordes in Nimes im Maison Central, einem der französischen Zuchthäuser.
»Du bleibst bei mir, Junge«, sagt sie und bestellt mir ein Abendessen – das erste nach sechs Tagen.
»Halb verhungert ist er … los, trink Rotwein … oder was willst du?« sagt sie und streichelt mich mit schmutzigen Händen. Sie ist ein Fleischkoloß. Später liege ich zwischen ihren Brüsten wie ein Säugling, und sie schnarcht laut. Ich zerdrücke drei Wanzen und setze mich auf das Fensterbrett. Ich brauchte nur ihre Kohlen zu nehmen und zu verschwinden. Dann lege ich mich wieder neben sie und sie grunzt, erwacht kurz, küßt mich schallend und wirft ihren tonnenartigen Körper auf mich. »Beiß in die Titten, beiß! Sandra
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