Der Mitternachtsdieb: Roman
weiß ich nicht."
Um zehn Uhr sagte Mutter Keiko: „So, Kinder, Zeit, schlafen zu gehen,. hopphopp. Morgen früh bekommt ihr wieder ein schönes Frühstück."
Beide gaben ihren Eltern einen Gutenachtkuß und gingen auf ihre Zimmer. Kenji war müde. Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen, wenn er auch sehr zufrieden war. Er kam in der Klasse gut zurecht und war nun auch schon in der Baseballmannschaft der Schule. Er hatte allen Grund, sich zu freuen. Er drehte sich um und war schon beim Einschlafen, als ihm plötzlich wieder sein Versprechen an Mitsue einfiel. „Ach, nein", grummelte er vor sich hin. „Jetzt muß ich wegen dieses blöden Geistermädchens auch noch wach bleiben." Er hätte viel lieber ordentlich geschlafen, aber es war ihm klar, daß er sein Versprechen halten mußte. Also griff er sich ein Buch und begann zu lesen. Und im Handumdrehen war es dann auch schon ein paar Minuten vor Mitternacht. Seine Augen waren ihm schon sehr schwer, aber er schaffte es, wach zu bleiben. In der Wohnung war es völlig still. Er machte leise seine Zimmertür auf und schaute ins Wohnzimmer. Die Eltern waren schon schlafen gegangen. Er schlich auf Zehenspitzen zu Mitsues Zimmer und klopfte leise an. „Mitsue, bist du wach?"
Er hörte sie flüstern: „Ja, komm herein."
Er machte die Tür auf und trat ein. Das Zimmer war vollgestopft mit Mitsues Puppen und Stofftieren.
„Sie muß jeden Augenblick kommen", flüsterte Mitsue.
Kenji sagte kopfschüttelnd: „Ach was, niemand wird kommen,
Schwesterlein. Es gibt keine Geister."
„Na gut, dann warte es eben ab."
Er setzte sich auf den Bettrand zu ihr. „Weißt du was?" sagte er. „Ich habe heute Baseball gespielt. Der Mannschaftskapitän sagte mir, daß ich einer der Besten bin." „Pst!" machte Mitsue. Er sah überrascht hoch. „Was ist denn?" „Pst! Sie kommt!"
„Ach was, niemand kommt", sagte Kenji ungehalten. „Der Mannschaftskapitän sagte also, daß ich, wenn ich wollte "
Aber in diesem Augenblick hörte er ein leises Stöhnen.
Er sah Mitsue an. „Warst du das?"
„Nein."
Kenji blickte zur Tür. Und da schien etwas einfach aus der Tür herauszutreten. Es war wie eine Art weiße, wirbelnde Wolke ohne Form und Gestalt, aber es bewegte sich auf sie zu. Es war auf einmal ganz kalt im Zimmer. „Das ist sie", flüsterte Mitsue.
Die weiße Wolke nahm plötzlich Form an und wurde genau das Mädchen, das Mitsue schon einmal gesehen hatte. Und es trug genau dasselbe weiße Kleid mit den Blutflecken darauf. „Bitte helft mir", sagte das Mädchen. „Helft mir." Kenji saß mit großen Augen da wie versteinert. Er versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort heraus. „Sag mir, wie wir dir helfen können", sagte Mitsue. Aber da war die Erscheinung bereits wieder durch die geschlossene Tür hinaus verschwunden. „Hast du sie jetzt gesehen?" fragte Mitsue.
Kenji war noch immer sprachlos. Sein Herz klopfte heftig, und die Kehle war ihm trocken. Ich habe gerade einen Geist gesehen, dachte er. Eine n wirklichen, lebendigen Geist... ich meine, einen wirklichen, toten Geist . .. Ich meine... Er war so verwirrt, daß er nicht mehr wußte, was er denken sollte. „Ob du sie gesehen hast?" beharrte Mitsue.
„Ja." Seine Stimme war total heiser. „Ich habe sie gesehen. Mitsue, weißt du, was das bedeutet? In dieser Wohnung spukt es!"
6. KAPITEL
„Liebe Schwester", sagte Kenji noch einmal. „In dieser Wohnung hier spukt es!"
„Ich habe es dir ja gesagt", antwortete Mitsue. „Wer ist das?" „Ich weiß es nicht. Ich habe meine Lehrerin gefragt, was ein Geist ist, und sie hat gesagt, das ist der Geist von einem Menschen, der noch etwas auf Erden zu erledigen hat." Was sollte dieses Mädchen noch zu erledigen haben? dachte Kenji. Das ergibt doch keinen Sinn.
Aber er und seine Schwester sollten die Antwort sehr bald erfahren.
Als die beiden Kinder am nächsten Morgen nach unten fuhren, stieg im siebten Stock ein Mann zu ihnen in den Aufzug. Er war klein und untersetzt und hatte ein kantiges Gesicht und kalte Augen. Er sah die Kinder an und sagte: „Seid ihr nicht die Kinder von den Leuten, die in das Apartment 1A eingezogen sind?" „Ja, Sir", sagte Kenji.
„Ich wohne im siebten Stock. Ich bin Jerry Davis."
Es war etwas an dem Mann, was den beiden Kindern überhaupt nicht gefiel.
„Da haben sie diese Wohnung also doch noch losgekriegt",
sagte der Mann.
Kenji war verwundert. „Losgekriegt?"
„Ja, vermietet, meine ich. Da drinnen ist doch vor
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