Der Moderne Knigge
in den Wein, so entfernt man sie, indem man den Wein fortgießt. Dann nimmt man ein reines Glas und schenkt dies aus einer frischen Flasche voll. Man kann sich dies auf einem Picknick erlauben. Entdeckt man im Hause eine Fliege im Wein, so schafft man sie mit einem Löffelchen oder einem Zahnstocher aus dem Glas und leert dies dann, um das Andenken der Hinausgeworfenen zu ehren.
Es giebt auch einen Picknickwein, welcher der hineingefallenen Fliege nicht bekommt, ja ihr sogar schadet. Mit solcher Fliege gehe man human um.
Ist eine Bowle bereitet, so sorge man auch als Fernlagernder dafür, daß sie immer mit dem Deckel versehen wird. Denn die darüber hinweg fliegenden Vögel zielen nicht, wenn ihnen etwas Menschliches begegnet.
Auf der dem Picknick folgenden Durchquerung des Waldes oder auf dem Spaziergange prüfe man seine Nüchternheit. Findet man sie lückenlos, so biete man ohne Bedenken einer heiratsfähigen Dame den Arm, während man einem auch ganz kleinen Rausch leicht eine Lebensgefährtin verdankt. Nur zu bald ist einem Picknicker zur Verlobung gratuliert, und dann ist es zu spät.
Hat man zu viel gegessen und zwar mehr als man zum Picknick beigetragen hat, so klage man nicht, sondern bedaure, keinen Appetit gehabt zu haben, um nicht nach Gebühr geschätzt zu werden.
Ist man ein Mensch, der immer einen Beschluß faßt, den er nicht zur Ausführung bringt, so beschließe man nicht, wenn man vom Picknick nach Hause kommt, nie wieder ein solches mitzumachen.
Eines der furchtbarsten Naturereignisse ist außer einem Erdbeben und einer Wasserhose der
Sommerlogierbesuch
im Vergleich mit dem Logierbesuch im Winter.
Der Sommerlogierbesucher in einer großen Stadt verlangt vor allem von seinem Opfer alle Vergnügungen des Winters mit alleiniger Ausnahme der Schlittenfahrten. Wenn man einen solchen Besuch empfängt, so mache man sich darauf gefaßt, daß man es auf das tiefste bedauern wird, nicht halbwegs zaubern und das Unmöglichste wenigstens annähernd möglich machen zu können.
Die Kunst, einen Logierbesuch im Sommer überdauern zu können, liegt in der Virtuosität, mit der man auf alles, wofür man verantwortlich gemacht wird, vorbereitet ist. Zum Glück wird man für alles verantwortlich gemacht, so daß man auf alles vorbereitet sein kann.
Ist die Hitze sehr groß, wie dies im Sommer nicht immer zu vermeiden ist, so muß man auf die Vorwürfe des Besuchers gefaßt sein. Ebenso dann, wenn ein Regen stattfindet, wie er sich wohl im Sommer ereignet. Hier kommt man zur Not mit einem Achselzucken und der Versicherung davon, daß es nicht wieder geschehen solle. Aber wegen des Staubs, wenn die Arbeit des Sprengwagens ohne Erfolg blieb, hat man schon einen schwierigeren Stand, und gegen die Vorwürfe wegen der Ferien einiger Theater und Spezialitätenbühnen kann man dem Freunde mit dem bloßen Bewußtsein der Unschuld nicht ins Gesicht springen. In solchen Fällen genießt man aber das Glück, sich doppelt auf die Abreise des Freundes zu freuen.
Behauptet der Besucher, in seiner Heimat seien weniger Mücken, so höre man aus dieser Behauptung nicht den Vorwurf heraus, sondern vertröste ihn auf die nächste Mückenzählung. Kommt nach Tisch das Eis und behauptet er, es sei in seiner Heimat kälter, so lasse man sich unter gar keiner Bedingung auf einen Streit ein, um ihn nicht noch mehr zu reizen, sondern gebe ihm die Versicherung, daß man etwas weniger kaltes Eis bestellt habe, um dem Besucher eine Magenerkältung zu ersparen.
Kommt man bei Gelegenheit in das Zimmer des Logierbesuchs, so sei man zerstreut und lasse daselbst ein Eisenbahnkursbuch liegen. Wenn es auch nichts nützen sollte, so könnte es doch der Fall sein, daß es etwas nützt, und schon die Illusion versetzt in eine angenehme Stimmung.
Man lasse dann und wann durchblicken, daß die Influenza grassieren solle. Der geborene Logierbesuch wird sich natürlich nicht daran kehren. Aber es ist doch gut, daß man diese Gleichgültigkeit feststellt, um andere Versuche, ihn zu vertreiben, unterlassen zu können.
Hat man in der Frühe zu arbeiten, so sorge man am vorangehenden Abend dafür, daß der Freund recht viel Bier trinke, damit er am anderen Morgen sich nicht aus dem Bett finden kann. Er wird dann zwar sehr schlecht auf das Bier sprechen, aber man war doch einige Stunden lang durch das Glück, einen Freund zu haben, nicht gestört.
Am Tage der Abreise des Freundes begleite man diesen mit traurigem Ausdruck zum Bahnhof und
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