Der Moderne Knigge
wenn man es nicht kann.
Da das Radeln hauptsächlich gegen die Korpulenz empfohlen wird und von Nutzen ist, so radeln selbstverständlich nur schlanke Damen, welche es nicht nötig haben, während korpulente Damen, die es nötig haben, wenigstens nicht öffentlich radeln, weil sie auf dem Rade einen komischen Eindruck machen.
Hat eine Radlerin, welche mit Leidenschaft am Rade hängt, Aussicht, sich mit einem Mann zu verloben, der Radfeind ist, so finde sie plötzlich, daß das Radeln gesundheitsgefährlich sei und in den Verdacht des Kokettierens bringe, und gebe es bis nach der Verlobung auf. Vielleicht handelt es sich nur um vierzehn Tage.
Da, wohin man sehen mag, und da, wohin man nicht sehen mag, geradelt wird, so ist namentlich Damen zu empfehlen, sich auf kein Rad-Rendezvous, sondern sich nur auf ein Stelldichein zu Fuß einzulassen. Denn der Verräter schläft nicht, sondern radelt.
Männer, welche sich ein Weib erradeln wollen, thun gut, das Rad dieser Dame anzurennen und sofort abzuspringen, um ihr beizustehen. Da Radler, welche einen Unfall herbeigeführt haben, gewöhnlich zu entzweiradeln suchen und auch meist glücklich davonradeln, so macht das Gegenteil auf die angeradelte Dame einen Eindruck, der bis zur Herzensneigung tief sein kann.
Hat man in der angegebenen Absicht so gehandelt und wird man von dem Fräulein »Sie sind ein Tölpel!« angeredet, so gebe man trotzdem die Hoffnung nicht auf. Das Standesamt ist unberechenbar.
Ist man unvorsichtig gewesen und hat das Fahrzeug durch einen Radmarder eingebüßt, so glaube man, daß man das Diebstahlroß wiederbekommt. Auch durch das Gegenteil erhält man das Rad nicht zurück.
Die Pumphosen der Radlerinnen sind auch bei solchen Männern beliebt, die nicht Radler sind. Sie können selbst bei Radlerinnen nicht beliebter sein.
Denjenigen Damen, welche gerne radeln möchten, aber nicht die Mittel haben, ein Rad zu kaufen, ist das Arbeiten an der Nähmaschine als Ersatz zu empfehlen. Natürlich wird dies ohne nennenswerten Erfolg empfohlen.
Das Segeln
ist ein ebenso alter, als beliebter Sport, auch bei demjenigen, der von der Kunst des Segelns nichts versteht. In diesem Fall hat man sich einem Kundigen anzuvertrauen, während man im andern Fall meist ins Wasser fällt.
Hat man einen Erbonkel, so fordere man ihn nicht auf, im Interesse seiner Gesundheit eine Segelfahrt zu machen. Es könnte mißverstanden werden. Auch in die Schwiegermutter dringe man nicht mit derselben Aufforderung, weil dies noch mehr mißverstanden werden könnte.
Sind Damen im Segelboot und fragen sie, ob man sie bei einem Schiffsunglück mit Gefahr des Lebens retten würde, so antworte man bejahend. Es ist noch keiner Dame eingefallen, eine Probe zu riskieren, auch dann nicht, wenn man verneinen würde.
Wird man zu einer Segelpartie eingeladen und merkt man, daß das Boot nicht seetüchtig, oder daß der Führer ein Wasserdilettant ist, so ziehe man sich bescheiden zurück und unternehme etwas, wobei man nicht ertrinken kann. Solcher Unternehmungen giebt es viele, z. B. Besuch einer Kunstausstellung, Tanzen, Pferdebahnfahren und Ansichtskartenkaufen. Denn das Wasser hat Balken, aber nur solche von untergegangenen Schiffen.
Die
Lyrik
ist ein spontanes Sommervergnügen. Im Sommer wird viel gelyrikt. Die Sonne (Wonne), die Blumen (Muhmen), die Schmetterlinge (Götterdinge), die hellen Hosen (Gesellen kosen), die saure Millich (laure willig), die Mücken (Entzücken) u. s. w. verführen fortwährend zum Dichten. Man bleibe ihm ferne und überlasse es anderen, zu beweisen, daß sie keine Dichter sind.
Trifft man einen Jüngling, der lyrische Gedichte an Zeitungen schickt, so unterschätze man sein Talent nicht, Frankomarken wegzuwerfen.
Will er die Gedichte vorlesen, so sage man, man komme gleich wieder, gehe dann aber auch gewiß fort.
Hat man eine Dichterin vor sich, so bitte man sie, einen Knopf am Handschuh festzunähen, um sich davon zu überzeugen, daß sie auch dies nicht kann.
Ist der junge Dichter ein realistischer, so schreibe man einige Beileidszeilen an seinen Vater oder Vormund. Seine Gedichte, von denen man noch kein einziges kennt, kennt man bereits von anderen jungen Dichtern und braucht sie deshalb nicht zu hören oder zu lesen.
Wird man mit einem Band moderner Dichtungen beschenkt, so nehme man ihn mit Dank an und lasse ihn, wenn man Kinder hat, nicht frei herumliegen. Kinder und Buch könnten verdorben werden, erstere aber schlimmer.
Bekommt man
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