Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Verhör ausarten würde. Sie werden auch nicht darum herumkommen, doch dürfte Sie Ihr Zustand im Augenblick vor dem Schlimmsten bewahren.“ Lewis verzog das Gesicht, und so fügte Goethe hinzu: „Natürlich wünsche ich Ihnen baldige Genesung und werde mich sobald als möglich bei Ihnen melden. Bis dahin halten Sie sich wacker, Lewis. Sie haben in den vergangenen Tagen genug erlebt, um noch Ihre Enkelkinder damit zu gruseln, und das könnte Ihnen auch anderweitig zugutekommen, nicht wahr?“ Er zwinkerte spitzbübisch und rief dann dem Kutscher den Befehl zum Abfahren zu. „Auf bald!“, grüßte er Lewis und hob kurz die Hand.
Lewis erwiderte matt die Geste und fühlte schon wieder ein Niesen kommen. Er wollte nur noch so schnell wie möglich in sein Bett.
Vor dem Haus der Böttigers angekommen stieg er mit wankenden Beinen aus. Auf der Fahrt hatte er, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, darüber nachgedacht, wie er auftreten könnte, ohne ein allzu erbärmliches Bild abzugeben: In die Decke eingehüllt – die er nicht gerne missen mochte, da es ihn allzu sehr fröstelte – würde er wie eine alte Frau wirken. Allerdings verbarg sie seinen erbärmlichen Aufzug vor den Augen etwaiger Umstehender. Schließlich kam er mit sich überein, die Decke wie einen Mantel um seine Schultern zu drapieren, und sich so wenigstens einen Rest Würde zu bewahren. Als er so zwischen Haus und Kutsche stand und an der Decke zupfte, flog auch schon die Tür auf, und Karl Böttiger und Eleonore stürzten auf ihn zu.
Böttiger trug eine Miene zur Schau, als kehre sein lang verlorener Sohn zurück. Er strahlte über beide Wangen, die Lewis ein wenig eingefallener als sonst vorkamen, sich aber plötzlich wieder zu alter Pracht füllten und mit Farbe überzogen. Böttiger breitete in einem Willkommensgruß die Arme aus und wollte schon die Hände um Lewis’ Schultern schließen, als Eleonore ihm zuvorkam. Sie umschlang Lewis und drückte ihn fest, um ihn ebenso schnell wieder loszulassen, als sei ihr erst jetzt aufgegangen, was sie tat. Sie errötete.
Doch bevor Lewis reagieren konnte, krachten Böttigers Handflächen von links und rechts gegen ihn, dass er bis ins Mark erschüttert wurde. Eleonore hatte einen halben Schritt zur Seite gemacht und sah ihn kaum an, schmunzelte aber. Böttiger tönte laut. „Lieber Lewis! Wir haben uns so gesorgt und sind jetzt glücklich, Sie wohlbehalten wieder hier zu haben. Die erste Nachricht Goethes ließ uns aufatmen, aber die zweite ...“ Er sah, wie seine Frau eine abwinkende Geste machte. Böttiger beäugte Lewis, als sähe er dessen Aufzug zum ersten Mal. „Ja wie kommen Sie denn daher ...“
„Karl!“, rief Eleonore Böttiger. „Jetzt lass uns nicht hier auf der Straße stehen! Der Herr Lewis hat sich verkühlt und braucht nichts Dringenderes als Wärme.“ Sie blickte von ihrem Mann zu Lewis und rasch wieder zu Karl zurück. „Das ist nicht mit Worten von dir getan! Ins Haus mit ihm.“
Die Böttigers nahmen Lewis in ihre Mitte und führten ihn hinein. Vor der Treppe ließ Eleonore Lewis’ sanft umfassten Arm los. „Karl, bring ihn auf sein Zimmer. Ich sage Gine, sie soll heißes Wasser bereiten, und dann bekommt Herr Lewis ein Fußbad und einen Kräutertee.“ Damit lächelte sie Lewis an. In ihren eigenen Wänden schien sie weniger Scheu zu haben als draußen auf der Straße.
„Danke“, flüsterte Lewis und nieste dann so heftig, dass er den ihn stützenden Böttiger mit erschütterte. Eleonore sah ihn mitfühlend und aufmunternd zugleich an und verschwand dann in Richtung Küche. Böttiger führte Lewis die erste Treppenstufe hinauf und flüsterte dann, als befürchte er, Eleonore könnte es hören: „Jetzt erzählen Sie mal, wie war denn das mit ...“
Lewis nieste.
Er nieste auch noch einige Stunden später. Aber immerhin lag er da in einem molligen Nachthemd unter dicken Decken in seinem Bett. Er hatte sogar eine von Böttigers Nachtmützen auf dem Kopf, so dass kaum seine Nasenspitze zu erkennen war. Draußen war es bereits dunkel. Innerlich und äußerlich mit allerlei Kräutersud behandelt, fühlte er sich einigermaßen wohl, wenn auch ein Fünkchen Misstrauen in ihm aufgeflammt war: Was, wenn die gute Gine etwas zu tief in den Kräutertopf gegriffen und ihm irgendetwas Übles hineingemischt hatte? Schließlich hatte sie nicht die beste Meinung von ihm. Aber Lewis war dann doch sicher, dass Eleonore Böttiger alles, was seine Genesung betraf,
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