Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
oder vielmehr ihre Eigenständigkeit gefährdet. Sie maßen sich an, sich mit der militärischen Offizierskaste gleichzustellen. Aber noch ärger verhält es sich, und dies wissen Sie gewiss auch, mit den studentischen Geheimgesellschaften, die akademischen Orden, in denen liberales Gedankengut und umstürzlerische Pläne besprochen werden ...“
„Gewiss“, log Lewis und strich sich mit dem Daumen am Kinn entlang.
„Nun, diese sind, wie Ihnen bekannt, seit Anfang dieses Jahres verboten. Bislang hatte dies nur den Auszug der Studenten am 19. Juli zur Folge, aber es kann noch Schlimmeres folgen. Goethe hat richtig erkannt, dass sich in diesen Orden ein revolutionäres Potential ansammelt oder vielmehr angesammelt hat, dass durch den Funken aus Frankreich jederzeit losbrechen kann, und dann würde auch hier bei uns die Bürgerschaft die Autorität der legitimen Staatsmacht anzweifeln und ... aber das brauche ich Ihnen ja nicht näher auszumalen.“ Voigt sah Lewis scharf an, als wartete er darauf, ihn belehren zu können.
„Durchaus nicht“, bestätigte Lewis. Er fragte sich, worauf Voigt hinauswollte.
„Nun ist es so“, fuhr dieser fort, „dass es angebracht ist, über die Machenschaften und Denkvorgänge in diesem Pulverfass unterrichtet zu sein. Im Übrigen ist die Universität Jena ein Fremdkörper in unserem Herzogtum Weimar. Sie liegt zwar auf dessen Gebiet, untersteht aber den Herzögen von Coburg, Meiningen, Gotha und eben Weimar gemeinsam. Das macht eine Handhabe, eine herrschaftliche Beaufsichtigung, überaus schwierig. Deshalb muss man doppelt gut über alles unterrichtet sein, um im äußersten Falle rechtzeitig losschlagen zu können.“
Voigt schlug mit der Faust in die Handfläche der anderen Hand und umschloss sie mit den Fingern, dass die Sehnen hervortraten. Lewis zweifelte nicht daran, dass Voigt ein gewissenloser Mann war, der gewillt war, seine Ideale auch mit Gewalt durchzusetzen.
„Was hat dies nun mit mir zu tun?“, fragte er ein wenig vorsichtiger.
„Sie sind doch recht gut bekannt mit dem ältesten Sohn des Generalsuperintendenten Herder ...“
„Das bin ich.“
Was hatte dies mit Wilhelm Herder zu tun?
„... welcher sich damit hervorgetan hat, ein Befürworter der Revolution in Frankreich zu sein ...“
Lewis ging auf, warum Schiller sich an diesem Abend des alten Herders Anwesenheit herbeigewünscht hatte. Es war ihm nicht nur um Beistand zum Thema Dichtung gegangen.
„ ... und dessen Sohn nun wird demnächst sein Studium in Jena beginnen ...“
„... wo auch Professor Schiller lehrt“, warf Lewis ein, um sogleich einen tadelnden Blick Voigts zu erhalten, den dieser mit Not in ein anerkennendes Nicken verwandelte.
„... der vom gleichen geistigen Schlage wie Herder ist, ja gar erst kürzlich aufgrund seiner aufrührerischen Dramen zum Ehrenbürger der FranzösischenRepublik ernannt wurde, man stelle sich vor!“ Voigt stach mit dem Zeigefinger in die Luft, als gedachte er, den Abtrünnigen sogleich zu pfählen und ihn somit seiner gerechten Strafe für diese Ungeheuerlichkeit zuzuführen.
Lewis nickte und ahnte, wofür Voigt ihn vorgesehen hatte.
„Sie – und Goethe – wollen, dass ich den jungen Herder, sobald er sein Studium angetreten hat, dann und wann befrage, was in Jena vor sich geht, um Sie, wie Sie so treffend formulierten, über die ›Machenschaften und Denkvorgänge in diesem Pulverfass‹ zu unterrichten.“
Voigt verzog die Lippen zu einem hochnäsigen Lächeln und schüttelte den Kopf. „Nicht ganz.“
Lewis hob die Hand. „Ah, natürlich, ich zitierte Sie nicht völlig korrekt, ich soll Sie natürlich doppeltgut unterrichten und dafür Herrn Herder doppelt gut befragen.“ Er konnte nicht umhin, ein gehöriges Maß an Ironie in seine Stimme zu legen.
„Nein“, sagte Voigt und lächelte noch mehr, „Sie werden selbst für uns nach Jena gehen, um alles aus erster Hand zu erfahren!“
Lewis schluckte. „Ich soll ... wie darf ich das verstehen?“ Voigt weidete sich an Lewis’ Verwirrung.
„Sehr einfach: Sie werden dem jungen Herrn Herder nach Jena folgen und sich dort als Student ausgeben, als interessierter Gast aus England. Sicher wird man versuchen, Sie für die Sache zu gewinnen, und ich denke, jegliches Misstrauen Ihnen gegenüber wird ausgelöscht werden, wenn Sie mitteilen, dass Sie erst kürzlich in Paris waren.“
„Sie sind auch sehr gut informiert, was meine Person angeht.“ Lewis zitterte. Der Arrak hatte seine
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