Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
krönten.
Lewis war sich sicher, dem Leibhaftigen gegenüberzustehen, der sich nicht, wie bei seiner Ankunft in Weimar, als braves Milchvieh entpuppen würde. Zu wach war Lewis nun, als dass er einem solchen Trug erliegen würde. Diese Gestalt war der Herr der dunklen Reiter, und er würde nun Lewis seinem furchtbaren Schicksal überantworten, durch welche Taten er sich auch immer dazu verdammt hatte. Lewis griff an seine Brust und umfasste durch den Stoff des Hemdes das Medaillon mit der Locke seiner Mutter, das er seit dem Erlebnis im Stollen um den Hals trug.
„Fürchten Sie sich nicht“, ertönte da eine knarrende Stimme, die sich an den Wänden der Ruine brach und durch die Fensterhöhlen in die Nacht entfloh.
Das waren also die letzten Worte, die er hören sollte, dachte Lewis. Dann schloss er ergeben die Augen, da er zu keiner weiteren Regung mehr fähig war.
„Sehen Sie mich an, Lewis“, knarrte die Stimme wieder, „ich will mit Ihnen reden!“
Lewis rührte sich nicht.
„Herrgott!“ Die Stimme rief in scharfem Ton an Lewis vorbei, anscheinend an die Männer jenseits der Tür gewandt. „Ihr habt ihn ganz und gar verängstigt!“ Wie zu sich selbst knurrte sie leiser: „Ich ahnte, dass dies kein guter Einfall gewesen ist.“
Dann wandte sich der Sprecher wieder an Lewis. „Öffnen Sie die Augen, haben Sie keine Furcht, ich bin ein Freund Geheimrat Goethes.“
Lewis sah mit halb zugekniffenen Lidern ins Licht. Der Mann ihm gegenüber versuchte nun anscheinend, eine freundliche Miene aufzusetzen, was ihm aber nur halbwegs gelang. Dennoch tat der Name Goethes sein Übriges.
„Wer sind Sie?“, krächzte Lewis.
Der Hagere verneigte sich knapp. „Voigt. Regierungsrat Christian Gottlob von Voigt, Mitglied des Geheimen Consiliums seiner Hoheit Carl August Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach.“
„Warum sind wir hier?“, fragte Lewis mit belegter Stimme und hob die Hand schwach an die Stirn. Regierungsrat Voigt sah den kalten Schweiß auf Lewis’ Stirn im Kerzenlicht glitzern und winkte rasch. Die beiden Männer setzten hinzu und ergriffen Lewis bei den Armen, um ihn zu stützen. Ihr Griff war dieses Mal wesentlich behutsamer, und sie hatten auch die schwarzen Tücher heruntergezogen, die ihre Gesichter zum Teil verdeckt hatten.
„Ich wollte auf Anraten Goethes mit Ihnen sprechen“, sagte Voigt, und seine Stimme hatte ihren knarrenden Klang ein wenig verloren, „und dieser ließ vermelden, Sie wüssten eine kleine Scharade zu schätzen, da derlei schauriges Tun Ihr liebstes Pläsir sei ...“
Lewis ächzte, und in diesem Laut schwang ein deutliches Maß an Verachtung mit.
Regierungsrat Voigts Brauen schlugen Kapriolen. „Es scheint, als habe sich der Geheimrat geirrt.“ Dann überlegte er einen Lidschlag lang. „Begeben wir uns in die Geheime Kanzlei, dort ist es komfortabler, und im Übrigen habe ich dies ohnehin vorgehabt ...“ Er musterte Lewis. „Sie können diese wenigen Schritte bewältigen? Es ist nicht weit, gleich über den Platz, im Fürstenhaus.“
„Es geht schon“, sagte Lewis, und er spürte, wie ihn ein aufwallendes Zornesgefühl mit neuer Kraft versah. Zu dumm, dass Goethe in weiter Ferne weilte, auf dem Weg nach Frankreich. Liebend gern hätte er ihm seine Späße heimgezahlt. Ihn so in Angst und Schrecken zu versetzen! Das Maß war voll, und Lewis schwor sich, seinem Herzen einen Stoß zu geben und sich fortan nicht mehr ins Bockshorn jagen zu lassen. Goethe schien ohnehin vieles nur als Spiel zu sehen, und Lewis wollte nicht mehr als Steinchen auf dem Brett sein Dasein fristen. Wer wusste, ob die schwarzen Reiter auf dem Waldweg nicht auch schon von Goethe gedungene Schmierenschauspieler gewesen waren, ob das scheinbar zufällig belauschte Gespräch in der Kutsche nicht inszeniert gewesen war? Lewis erinnerte sich: Hatte Goethe nicht dem Weimarer Theater vorgestanden oder Ähnliches? Hatte er neben dem Verfassen von Stücken nicht auch in ihnen mitgewirkt? Alles fügte sich nun: Goethe hielt ihn, den Schauerromane lesenden kleinen, jungen Engländer zum Narren und amüsierte sich darüber – und nun? Was wollte dieser Regierungsrat von ihm, noch dazu auf Anraten Goethes?
Lewis atmete scharf ein. „Also, worum geht es?“
„Kommen Sie“, meinte Voigt. „Im Sitzen lässt sich das besser bereden.“
„Na schön!“ Lewis entzog die Arme dem Griff der Männer, die eilends einen halben Schritt beiseite machten, und hob das Kinn. „Zeigen Sie mir den
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