Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Anschauung der Dinge geändert, dank der Beschäftigung mit den Kant ’ schen Schriften, in denen ...“
Lewis spürte, wie das Gespräch an ihm vorbeischwamm. Einen Exkurs in Philosophie würde er nun nicht durchstehen, und so hob er bedächtig die Hand und deutete auf Hardenberg, oder vielmehr, an diesem vorbei und auf die blaue Blume, die an dessen Rockaufschlag schimmerte.
„Was halten Sie davon? Als Sie zu uns kamen, sprachen wir gerade über dieses Blümlein, das Herr Hardenberg von einem geheimnisvollen Fremden erhalten hat. Aber um nicht weiter darauf einzugehen – finden Sie es nicht auch einfach wundervoll?“
Herder schien bei der Erwähnung der Blume auf eine Idee zu verfallen und murmelte halblaut einen Fluch vor sich hin, der sich auf den Winter und die Abwesenheit blühender Liebesbeweise bezog. Hardenberg schaute neben sich, als sei es ihm unangenehm, dass sein Talisman erneut unernste Aufmerksamkeit erhielt.
Schiller hingegen musterte die Blume eingehend. „Diese Blume ist mir bekannt, schließlich trägt Herr Hardenberg sie schon, seit ich ihn kenne. Was Ihre Aussage über deren Schönheit angeht, so ist sie mir ein willkommener Anlass, wiederum auf den großen Kant zurückzukommen. Bedenken Sie, Lewis, dass ein ästhetisches Urteil, wie Sie es abgaben, ein reines Gefühlsurteil ist. Ich stimme mit Kant insofern überein, wie ich es auch in meinen in diesem Winter zu verfassenden ästhetischen Vorlesungen darlegen werde. Doch liegt es mir am Herzen, Einspruch dagegen zu erheben, dass es nur ein Subjektiv-Schönes gebe, vorhanden bloß im Betrachtenden, nicht aber ein Schönes, das in den Gegenständen selbst liege. Diese Lücke im Kant ’ schen System gedenke ich aufzufüllen, und ich ...“
Lewis schwirrte der Kopf. Was hatte er nur mit seinem hilflosen Einwurf ausgelöst! Er presste die Finger an die Schläfen und ächzte. „Wenn die Herren erlauben – ich bitte darum, mich zu entschuldigen, der Wein, die Wärme ... ich benötige dringend ein paar Atemzüge frischer Luft ...“ Er stand ein wenig schwankend von seinem Stuhl auf.
Herder wandte unwillig kurz den Blick von dem Schankmädchen ab, das sich am anderen Ende des Raumes befand, und sagte mit abwesendem Ausdruck auf dem Gesicht: „Ja, geh nur schon vor auf unsere Bude, ich werde noch ein wenig bleiben ...“
Hardenberg nickte Lewis zu und erhob sich. „Ich werde bei Herrn Schiller Quartier nehmen. Wir haben also beinahe den gleichen Weg. Wenn wir nun aufbrechen, und es ist in der Tat Zeit, können wir dich ein Stück begleiten ...“
Lewis winkte ab. Ein weiteres Gespräch mit Schiller würde er nicht durchstehen.
So verabschiedete er sich höflich, mit besonderen Ehrenbekundungen Schiller gegenüber. Hardenberg würde er am morgigen Tag wiedersehen und Herder am Abend, falls dieser nicht mit seinen Avancen Erfolg bei dem Schankmädchen hatte. Lewis zuckte die Achseln. Er brauchte nun einen erfrischenden Gang durch den klaren Winternachmittag und einige Stunden langgestreckten Ausruhens.
Er verließ das Gasthaus, nachdem er sich in die – immerhin wieder trockenen – Stiefel gequält hatte und lenkte seine Schritte einigermaßen geraden Wegs zu seinem Ziel. Nachdem er sich die Treppen hatte hinauf schleppen müssen, stieg er wieder aus den Stiefeln und fiel endlich schwer auf die Pritsche, die ihm in Herders Stube als Schlafplatz diente.
Um ihn herum drehte es sich. Er wusste nicht mehr, wie viele Gläser Wein er getrunken hatte, die genaue Anzahl war ihm im fröhlichen Gespräch mit Herder und Hardenberg abhanden gekommen. Offenbar waren es aber mehr als gewöhnlich und demzufolge zu viele gewesen. Er schob eine Hand unter seinen Kopf und legte den anderen Arm über seine geschlossenen Augen, da das viel zu hell erscheinende Weiß der Zimmerdecke durch seine Lider schimmerte.
Gedankenfetzen trieben vorbei, ohne dass er sie geordnet aneinanderzureihen vermochte. Hatte Schiller ihn tatsächlich nur ein wenig schaudern machen wollen, indem er von weiteren Geheimbündlern sprach und was hatte er damit gemeint, sie befänden sich ganz in Lewis’ Nähe? In Jena? In Weimar?
Lewis entsann sich seines Gesprächs mit Herder und Hardenberg, in dem sie gemutmaßt hatten, was mit Löbers Leichnam geschehen sein mochte, nachdem die Männer in Voigts Auftrag sie aus dem Kadaverkeller des Anatomischen Turms gezogen hatten. Herder hatte mit Fug und Recht darauf hingewiesen, dass Löber einen Freund in den Mauern der Akademie haben
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