Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
möglicherweise vertrautes Antlitz näherte sich ihm, sprach freundliche Worte, und dann netzte ein labender Trank seine Lippen. Sein Hals schmer zte.
Lewis, der sich noch immer matt fragte, warum er noch einen Körper besaß, den er spüren konnte, schluckte und fühlte, wie ihn ein frischer Hauch erfüllte. Die seltsame Empfindung verging, als sich wieder sanfte Dunkelheit um ihn schloss.
Nach einer Weile, deren Dauer Lewis nicht zu bestimmen wusste, war wieder das Licht vor ihm. Die Eindrücke waren die gleichen wie zuvor, nur erschien ihm diesmal ein anderes Gesicht, das ihm ebenso vage bekannt vorkam wie jenes zuvor. Eine Stimme perlte sachte, doch Lewis konnte den Sinn der Worte nicht erfassen. Wieder trank er etwas oder vielmehr schien er etwas zu trinken, denn wie sollte ihm dies ohne einen körperlichen Leib möglich sein? Dann schlief er wieder ein, so es denn Schlaf war und nicht einfach das Ruhen seines ätherischen Ichs im Nichts.
Die Zeit, die ihm nicht s bedeutete, verrann, was er daran zu erkennen meinte, dass in den kurz verweilenden Augenblicken, in denen er etwas wahrnahm, mal Helle, mal Düsternis herrschte. Irgendwann, nachdem ihn bislang nur Engel umschwebt hatten – denn wo anders konnte er sich befinden als im Himmel? –, erschien über ihm eine mächtige Gestalt, die mit gebieterischer und doch höflicher Stimme sprach. Wer anders konnte es sein als Gott selbst, der da befahl, ihn von diesem Ort zu bringen und in elysische Gefilde zu verschaffen? Lewis zeigte sich ob der Ehre erfreut, und ehe er noch spürte, wie er hinweggehoben wurde, fragte er sich, warum der Gottvater gar keinen wallenden weißen Bart trug und überhaupt irgendwie dem Geheimrat Goethe ähnelte ...
Als Lewis das nächste Mal erwachte oder zu erwachen glaubte, spürte er eine seltsame Vertrautheit mit dem Ort, an dem er sich befand. Hier war es nicht ganz so hell, es waren nicht mehr die vielen Stimmen zu hören, und der Geruch schien anders. Lewis bemerkte mit Verwunderung, dass er riechen konnte. Aber vielleicht war dies auch im Himmel nötig, um die süßen Rosendüfte der Psalmen, den Honiggeruch des Manna und das Odeur der weißen Lilien wahrnehmen zu können, die ...
Lewis war erstaunt, zu welchen Gedanken und Erinnerungen er fähig war, doch bevor er dies näher erörtern konnte, sank er wieder ins Vergessen.
Die, die über ihn wachten, waren andere als zuvor, bemerkte er, als er wieder einmal seine Sinne erlangte. Sie waren immer noch verschleiert, und er war sich auch nicht sicher, ob es überhaupt menschliche, körperliche Sinne waren, die ihm Eindrücke vermittelten. Dennoch wurde er gewahr, dass ein weiblicher Engel sich um ihn sorgte, dessen Haar golden schimmerte, dessen Augen blau leuchteten und dessen Lippen und Wangen sich rötlich von dem elfenbeinfarbenen Antlitz abzeichneten. Lewis glaubte, sich in leisem Entzücken selbst seufzen zu hören, doch war dies undenkbar, da er wusste, dass im Himmel fromme, stille Genügsamkeit herrschte.
Dann und wann flatterte ein kleiner, feister Cherub um den Engel und um ihn selbst und seine wolkenweiche Lagerstatt, und in schöner Regelmäßigkeit trat ein Mann mit haushofmeisterlichem Gebaren hinzu, der kein anderer als der heilige Petrus sein konnte, dessen Gesicht aber seltsamerweise ebenfalls kein Bart zierte. Es schien, als seien die biblischen und altväterlichen Zeiten im Himmel vorüber, und die Herren schabten sich die Gesichter.
Dem schien in der Tat so zu sein, denn Lewis spürte dann und wann, wie es an seinem ätherischen Kinn schäumte und kratzte und wie jemand es daraufhin warm und feucht umhüllte. Seltsam, dachte er. Überhaupt schien alles um ihn herum bei jedem Erwachen irdischer zu werden: Er vermeinte, bekannte Nahrung zu schmecken, vertraute Dinge zu sehen und zu hören. Doch immer wieder fiel er zurück in dunkles Nichts.
Irgendwann vernahm er Glockenschall und fromme Gesänge, die feierlich umherschwebten und lange Zeit währten. Jetzt war Lewis sicher, dass er dort war, wo er sich zu währen glaubte, und er ließ los und lauschte und achtete auf nichts mehr. Vor seinen Augen tanzten Bilder von furchtbaren Geschehnissen, die auf ihn eindrangen, aber von denen er spürte, dass es ein letztes, endgültiges Mal war. Er sah den untoten Löber, der ihn würgte. Er sah Löber, wie er die bluttriefende Klinge in Herders Leib tauchte. Er sah sich in ein schwarzes Loch bodenloser Tiefe fallen. Er sah sich eingeschlossen in Gestein und umspült
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